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Elvis und die Nackten im Bottroper Hallenbad

Erinnerungen an die Teestube und eine nächtliche Orgie im alten Bottroper Hallenbad

Wir schreiben das Jahr 1973. Im ehemaligen Heizungskeller des Hallenbades, auf der Rückseite des Gebäudes, wurde die Teestube eröffnet. Ein Jugendtreff, der auch als Drogenberatung dienen sollte. Initiiert wurde das Projekt durch den Verein Jugendhilfe e. V., unter der Leitung von Pfarrer Heiermann, der seinerzeit für viele junge Leute ein Ansprechpartner war. Die Teestube sollte in Eigenverantwortung von uns Jugendlichen betrieben werden, mit Rolf Zydek als Organisationsleiter, wenn ich mich recht erinnere.

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Nachdem zwei Jahre zuvor der Beatkeller im alten Evangelischen Gemeindehaus geschlossen wurde, waren einige von uns auf der Suche nach einer neuen Party-Location. Die Teestube verhieß hier neue Möglichkeiten, die allerdings zum Teil der Vereinssatzung widersprachen. Die umgebauten Kellerräume im Hallenbad boten alles, was man für eine Party-Location benötigte: eine lange Theke mit Barhockern, einen Kühlschrank, eine Kaffeemaschine, Sessel, Sofas, Tische, Stühle und ein paar Matratzen, um auf dem Boden herumzulungern. Eine Musikanlage mit richtig viel Wumms und neu errichtete Sanitäranlagen.
Hier ein alter Zeitungsausschnitt von der damaligen Eröffnung:

Das mit der Drogenberatung hatten wir allerdings falsch verstanden. Wir verkauften Alkohol zum Selbstkostenpreis. Und wer auf der Suche nach gutem Dope war, der wurde in der Teestube schnell fündig. Julianne Werding schaute kurz rein, bevor sie aufhörte, um „Conny Kramer“ zu trauern. Einige Bottroper Gastronomen verzeichneten starke Umsatzeinbußen, da sich der Säufernachwuchs nun in der Teestube tummelte. Es kam zu ersten Beschwerden.

An einem Samstag hatte ich Thekendienst zusammen mit Wolfgang Casel und Gudrun Schmid. Ich war damals sechzehn und hatte Pfarrer Heiermann überredet, mir den Generalschlüssel anzuvertrauen. Damit konnte ich auch den Notausgang öffnen, der damals durchs Hallenbad führte. Am frühen Abend kam es zu einer kurzen Rangelei mit Wolfgang Casel, der es mir irgendwie übel nahm, dass ich den Schlüssel hatte und somit das Sagen. Gudrun konnte unseren Streit aber schnell schlichten und einige Drinks später verstanden wir uns wieder ohne Zank und Haue. Freunde wurden wir allerdings nie.

Die Teestube wurde an diesem Abend immer voller, die Leute auch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich auf der Theke getanzt habe, mit Beatrice, in die ich heftig verknallt war. Sie leider nicht in mich. So gegen 3 Uhr morgens kam Wolfgang dann auf die Idee, im Hallenbad schwimmen zu gehen und überredete mich, den Notausgang aufzuschließen. Und so schlich dann eine kleine Gruppe betrunkener und bekiffter Jugendlicher durch die unteren Technikräume des Hallenbades hoch in die Schwimmhalle.

Raus aus den Klamotten und rein ins Schwimmbecken. Zunächst planschten alle noch einigermaßen gesittet herum. Doch dann kam jemand auf die blöde Idee, das legendäre Nacktfoto der „Kommune 1“ von 1967 nachzustellen. Und so klatschten einige mit viel Gejohle ihre nackten Körper gegen die große Fensterfront des Bottroper Hallenbades. Na ja, die Kommunarden Rainer Langhans und Uschi Obermaier hätten sich ihre Freude gehabt, ich nicht, die Party begann irgendwie aus dem Ruder zu laufen.

Und dann kam Elvis

Elvis war ein Bottroper Original, ein Unikum in den mittleren Jahren, das seinem Idol „Elvis Presley“ nacheiferte. Bottrops Elvis hatte eine Frisur wie Presley, konnte dessen Songs alle auswendig und beherrschte ebenfalls den charakteristischen Hüftschwung. „Elvis the Pelvis“, seinen bürgerlichen Namen kenne ich bis heute nicht. Elvis war einfach Elvis und tourte in den 1970er Jahren am Wochenende durch die Bottroper Kneipen, trank ein Bier, zog sein Mikrophon aus der Tasche, sang ein, zwei Elvis-Songs und marschierte weiter zur nächsten Gaststätte. Es sei denn, er bekam zu viel Aufmerksamkeit, dann konnte seine Performance auch schon mal etwas länger dauern.

Seinen größten Triumph erlebte Elvis sicher bei einem ausverkauften Konzert der Gruppe „Wonderland“ im Lichthof der Berufsschule. Die Musiker von „Wonderland“ holten ihn auf die Bühne und unser Elvis durfte vor dem johlenden Publikum zwei Elvis-Songs singen, musikalisch begleitet von den Musikern der Rockgruppe. Hinterher trug man ihn auf Schultern durch den Lichthof.

Jailhouse Rock

In dieser Nacht kam Elvis jedenfalls auf seiner Kneipentour am Hallenband vorbei, sah die Nackten an der Fensterfront und hielt sie vermutlich für Fans, die ihm zujubelten. Elvis zog sein Sennheiser Mikrophon aus der Tasche, begann mit den Hüften zu wackeln und fing an zu singen. Die Nudisten am Fenster wackelten mit den Hüften zurück, was in Anbetracht der Hüllenlosigkeit irgendwie obszön wirkte. Ich bekam langsam Panik, sah schon die Polizeiwagen vorfahren und wollte nicht auch noch als Exhibitionist verhaftet werden.

Ich zog mich, klatschnass wie ich war, schnell an und versuchte dann, die Gruppe vom Fenster wegzulocken. Irgendwie gelang es mir, die torkelnde Truppe wieder in die Teestube zu lotsen. Scheinbar hatte keiner unsere nächtliche Exkursion ins Hallenbad bemerkt, dachte ich zumindest.

Der vergessene Büstenhalter

Ein paar Tage später wurde plötzlich das Schloss vom Notausgang auf der Teestubenseite verblendet. Man konnte die Tür von dieser Seite nun nicht mehr öffnen. Es ging das Gerücht um, der Bademeister hätte einen BH im Becken treibend gefunden. Ein paar Wochen später wurde die Teestube dann endgültig geschlossen, zu viele Beschwerden. Später war dort wohl eine Zeit lang die Drogenhilfe untergebracht. Aus heutiger Sicht hätte man den Laden mit einem verschlossenen Notausgang gar nicht betreiben dürfen.

Das alte Hallenbad

Das alte Hallenbad befand sich von 1957 bis 2007 in der Innenstadt von Bottrop, am Berliner Platz. Es war ein beliebter Ort für Schwimmer und Nichtschwimmer gleichermaßen. Auch die Milchbar im hinteren Teil des Foyers erfreute sich großer Beliebtheit und war quasi für viele Jugendliche der erste Szenetreff. Als ich 13 oder 14 war, traf sich dort immer unsere Clique. Ich erinnere mich noch gut an die Drahtsessel und die leckere Bananenmilch.

Das Bad verfügte über ein 25-Meter-Becken, ein Nichtschwimmerbecken und einen Fünf-Meter-Sprungturm. Es war auch Austragungsort von Schwimmwettkämpfen und anderen Veranstaltungen.

Im Jahr 2007 wurde das alte Hallenbad abgerissen, um Platz für das neue Kaufland-Haus zu machen. Die Abrissentscheidung war umstritten, da viele Menschen es als wichtiges Stück Bottroper Geschichte betrachteten. Ganze Schulklassen haben dort schwimmen gelernt oder Ihre Schwimmscheine gemacht. Auch die DLRG und der Bottroper Schwimmverein waren hier lange beheimatet.

Wolfgang Casel starb 2 Jahre später bei einem Autounfall. Bottrops Elvis verschwand irgendwann in den 1980ern sang- und klanglos von der Bildfläche. Vielleicht erinnert sich ja noch jemand von Ihnen an Bottrops Elvis, kennt seinen bürgerlichen Namen und weiß, wie seine Geschichte endete. Falls ja, schicken Sie mir eine E-Mail!

Udo Schucker

Dank an Beatrix Schweizer für die tollen Fotos aus dem Archiv ihres Vaters.