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Hans-Peter Keller – Malgrafie

„Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola – alles ist in Afri-Cola“

Als ich dem Bottroper Fotokünstler Hans-Peter Keller irgendwann in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre das erste Mal begegnete, musste ich direkt an den legendären Afri-Cola-Werbespot von Charles Wilp aus dem Jahre 1968 denken. In seinem persilweißen Overall und mit dem Fotoapparat der Marke „Zenca Bronica S2“ um den Hals, assoziierte ich mit dem jungen Hans-Peter Keller direkt den Düsseldorfer Werbefotografen und Künstler Wilp.

Hans-Peter Keller war schon damals hip, keine Frage. Während die meisten von uns in den 1970ern modisch eher einem sozialistischen Einheitslook frönten – Schimanski-Jacke, Jeans und lange Haare – fiel Hans-Peter mit seinen trendigen Outfits, seiner lässigen Eleganz, seiner Nonchalance und seinem akkuraten Haarschnitt aus dem Rahmen. Wenn man neben ihm stand, hatte man stets das Gefühl, schlecht gekleidet zu sein.

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Street Photography

Die Leidenschaft fürs Fotografieren hat der gelernte Zahntechniker Keller bereits in seiner frühen Jugend entwickelt. Neben der Werbe- und Aktfotografie war es vor allem eine Obsession für die „Street Photography“. Hier folgte er schon früh den Spuren von Pionieren wie Henri Cartier-Bresson, Robert Frank oder Lee Friedlander, der für seine humorvollen und ironischen Straßenfotografien bekannt ist.

Während man heute einfach auf den Auslöser seines Smartphones drückt und die KI für gelungene Fotos sorgt, war die Fotografie im vergangenen Jahrhundert noch ein komplexes Handwerk, das es zunächst einmal zu erlernen galt. Und so verbrachte der Autodidakt Hans-Peter Keller viele Stunden im Keller des elterlichen Wohnhauses, wo er seine Dunkelkammer eingerichtet hatte.

Damals mussten Fotos nach ihrer Belichtung in der Kamera in einem dunklen Raum entwickelt werden. Erst dann erfuhr man, ob das Foto überhaupt gelungen ist. Die Entwicklung von analogen Fotos war/ist ein chemischer Prozess, der das nach der Belichtung unsichtbare Bild auf dem Film sichtbar macht. Der Prozess besteht aus den folgenden Schritten und erfordert viel Erfahrung:

  • Entwicklung: In diesem Schritt wird das latente Bild auf dem Film sichtbar gemacht. Dazu wird der Film in einen Entwickler eingelegt, der die lichtempfindlichen Silberhalogenide zu Silber reduziert. Die Stellen, die durch Licht bestrahlt wurden, werden dabei dunkel, während die unbelichteten Stellen hell bleiben.
  • Stoppbad: Der Entwickler muss nach einer bestimmten Zeit gestoppt werden, damit der Prozess nicht weitergeht. Dazu wird der Film in ein Bad eingelegt, das die Entwicklung des Bildes einstellt.
  • Fixierung: In diesem Schritt werden die nicht lichtempfindlichen Silberhalogenide aus dem Film entfernt. Dazu wird der Film in ein Fixierbad eingelegt, das die Silberhalogenide zu Silbersalzen umwandelt.
  • Wässerung: Der Film muss anschließend gründlich gespült werden, um alle Chemikalien zu entfernen.
  • Trocknung: Zum Schluss wird der Film getrocknet.

Die letzte Einstellung zeigt die erste Ausstellung

Es vergingen ein paar Jahre, in denen H.-P. Keller nebenberuflich für verschiedene Tageszeitungen als freier Fotograf arbeitete oder Werbefotos schoss, beispielsweise über trendige Frisuren für den damaligen Bottroper Starfrisör Addy Rockel. Nachdem Hans-Peter Keller sein fotografisches Können perfektioniert hatte, präsentierte er 1983 in der Szenekneipe „Por qué no“ seine erste öffentliche Ausstellung. Ich drehte seinerzeit dort eine Szene für meinen Spielfilm „Die letzte Einstellung“ und hab so, ohne es zu wissen, Hans-Peters Exponate in meinem Film eingebaut. Die Ausstellung war ein voller Erfolg, mein Film leider nicht. Und so nahm Hans-Peter Kellers künstlerisches Schaffen seinen Lauf.

Es folgten weitere Ausstellungen in verschiedenen Städten und Galerien sowie Auftragsarbeiten für diverse Kunsthallen wie z. B. dem Museum Quadrat, dem Bauhausarchiv, dem Ulmer Museum für Kunst oder dem Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg. Dazu kamen Fachpublikationen, z. B. über die Infrarotfotografie in der DDR. Seine Werke wurden sogar in Japan ausgestellt.

Arbeiten des Fotografen Michael Gnade weckten schließlich Kellers Interesse an der Aktfotografie. Der Bauhausverehrer H.-P. Keller besuchte Seminare bei dem Fotokünstler, entwickelte hier aber schnell einen eigenen Stil, der sich künstlerisch an den Arbeiten des russischen Avantgardisten Eliezer „El“ Lissitzky (1890 – 1942) und des deutschen Malers und Fotografen Edmund Kesting (1892 – 1970), einem Vertreter der informellen Malerei, orientierte.  

Museum Ludwig

Parallel zur Art Cologne 1991 stellte H.-P. seine Werke in der Galerie Iris Bruckgraber in Köln aus und erweckte das Interesse professioneller Sammler. Zwei seiner großformatigen Aktfotografien wurden von der Sammlung Uwe Scheid erworben und gingen später in den Besitz des Museums Ludwig über. Wo sie Teil der Ausstellung „Bilderlust“ waren.

In Sachen Street Photography entstanden im Laufe der Jahre einige sehr erfolgreiche Fotobände und Fotokalender, darunter über New York, Havanna oder Paris. Leider ist diese Art der Fotografie in Deutschland seit 2014 nicht mehr möglich. Die Datenschutzbürokratie hat dieser Kunstrichtung hierzulande bedauerlicherweise fast gänzlich zum Erliegen gebracht. Nun, zum Teil sicher auch berechtigt.

Es folgte eine längere kreative Pause, in der Hans-Peter Keller primär Zahnärzte in Sachen Marketing coachte und sich auf den Betrieb seines Zahnlabors fokussierte. Doch 2012 war die Schaffenspause durch. H.-P. hatte wieder den richtigen Biss und präsentierte ein neues Fotobuch mit Straßenfotografie in Paris. Der Fotoband wurde ein großer Erfolg, ein weiterer, aufgenommen in Havanna, folgte.

Malgrafie – Der Künstler als Grenzgänger

Hans-Peter Keller ist ein Grenzgänger, dem die reine Fotografie schließlich nicht mehr genug war. Stattdessen entwickelt er einen neuen, erweiterten kreativen Ansatz, den er „Malgrafie“ nennt.

In seinen Malgrafien verbindet Keller Schwarzweißfotografie, Leinwand und Farben zu einem Gesamtkunstwerk. Als Fotograf ist sein Fokus auf das visuelle Geschehen und die exakte handwerkliche Ausführung gerichtet. In der Malgrafie treten Schwarzweißfotografie und abstrakte Malerei in einen direkten Dialog. Das Schwarzweißfoto bekommt dabei ein zusätzliches emotionales Gewicht. Die Werke entstehen so, dass das Foto durch die Malerei neu spricht.

Zunächst erscheint der Dialog zwischen Fotografie und Malerei dem Betrachter als nicht unmittelbar begreifbar. Erst bei intensiver Betrachtung wird die Emotion zur Führung und macht die Komposition und das Gesamtwerk deutlich erlebbar.

Die aus Wien stammende Kuratorin Angelika Ehrhardt-Marschall vom KUNSTHAUS RHEINLICHT schreibt dazu: „Im Gegensatz zum Kunststil des Dadaismus und Surrealismus in den 1920er-Jahren, in denen Übermalungen genutzt wurden, um manifeste Bildaussagen von Fotografien zu verändern, verwendet H.-P. Keller die Malgrafie, um seine SW-Fotos auf eine neue, emotionale Bühne zu stellen.“

Kunstraub – Arsène Lupin lässt Grüßen

H.-P. Kellers Malgrafien sind plötzlich so begehrt, dass sogar einige Exponate während einer Ausstellung in der Kulturkneipe Passmanns entwendet werden. Die Kunstdiebe wurden nie gefasst, die Bilder sind bis dato verschwunden. Hier sehen Sie eins der gestohlenen Bilder:

Weiter Informationen über den Fotokünstler H.-P. Keller und zur Malgrafie finden Sie auf der H.-P.-Website: https://www.hpk-fotogalerie.de/

Udo Schucker