Helmut Kohl im Bottroper Café Beckhoff
Herr Blum sitzt im Café KRAM und erinnert sich an eine Anekdote aus dem ehemaligen Café Beckhoff.
Herr Blum hatte gekleckert. Rührei und ein Stück Tomate befleckten sein weißes Hemd von „OLYMP“. Der Fleck lag an einer Stelle, die Herr Blum mit seinem Schlips überdecken konnte. Er zog eine Krawattenklammer aus der Innentasche seines maßgeschneiderten, schwarzen Anzugs und fixierte die dunkelgraue Seidenkrawatte von „Turnbull & Asser“ so, dass der Fleck nicht mehr zu sehen war.
Leopold Blum, dessen Erscheinung frappierend der von Alfred Hitchcock glich, sah sich verstohlen um. Alle Tische im Café KRAM waren besetzt, doch niemand schien sein Malheur bemerkt zu haben. Die beiden Damen am Tisch links von Blum überlegten laut, ob sie die Libido ihrer Gatten wohl durch eine Ernährungsumstellung aus dem vorzeitigen Ruhestand zurückholen könnten. Am Platz gegenüber brachte sich eine junge Dame gerade in eine kecke Pose für ein Instagram-Foto und am Tisch rechts von ihm brüsteten sich ein paar Rentner mit der Anzahl ihrer Darmspieglungen.
Herr Blum lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück, verschlang den Rest seiner Rühreier mit Tomaten und genoss den kräftigen, aromatischen Kaffee, den man hier servierte. Er schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand ein Kleinkind vor ihm und wollte gerade nach Herrn Blums Melone greifen, die auf dem Sessel neben ihn lag. Die Melone war ein Erbstück, das sein Urgroßvater angeblich von den englischen Hutmachern Thomas und William Bowler erworben hatte.
Blums Hand schoss hervor und legte sich auf die Melone, gerade, als das Kleinkind diese an sich ziehen wollte. „Baba“, grunzte das Kleinkind. Blum, der Kinder nicht besonders mochte, grunzte zurück: „Das ist nicht Baba. Das ist Churchill. Und der ist sehr bissig. Wenn du deine Patschhändchen nicht wegnimmst, beißt Churchill dir die Hand ab!“.
Das Kleinkind starrte Blum mit großen Augen an. Blum starrte mit großen Augen zurück. Ein Augenblick, der an Niedlichkeit kaum zu übertreffen war. Hätte die Influencerin am Tisch gegenüber ein Foto von dieser Szene geschossen, hätte sie sicher abertausende LIKES kassiert. Doch der Augenblick verstrich undokumentiert. Das Kleinkind fing an zu plärren und rannte davon. Nun hatte Herr Blum genau die Aufmerksamkeit, die er nicht wollte. Alle starrten ihn an. Auch sein Eierfleck lugte unter der Krawatte hervor, die Klammer hatte sich in der Aufregung verschoben.
„Darf’s noch was sein?“, fragte die Bedienung, die just in diesem peinlichen Moment vorbeispazierte. „Äh, ja, ein Stück Torte, vegane Schokotorte“, brabbelte Herr Blum verlegen. Beim Wort vegan verloren die andren Gäste sofort das Interesse an Leopold Blum und fixierten sich wieder auf sich selbst. Relax. Herr Blum streichelte seine Melone, vollzog unbewusst mit dem Finger eine magische Bewegung, ähnlich wie Pan Tau. Und plötzlich verschwand die Szenerie um ihn herum. Seine Gedanken vollzogen einen Reißschwenk in die Vergangenheit, in ein andres Café.
Doppelter Scho(c)k im Café Beckhoff
Anfang der 1980er Jahre. Der junge Herr Blum saß mit seinem Freund „Frankie Goes to Paris“ im Café Beckhoff an der Osterfelder Straße. Beide trugen schwarze Sakkos, schwarze Rollkragenpullis und schwarze Jeans, regulär geschnitten, welche damals nur in besonderen Läden zu kaufen waren. Sie rauchten „Gitanes“ und waren sich sicher: Die Hölle, das waren die andren. Zwei Existenzialisten, wie aus dem Bilderbuch.
Das 1959 eröffnete Bottroper Café war bei älteren Herrschaften und jungen Leuten gleichsam beliebt. Die Inneneinrichtung mit ihren gepolsterten Stühlen, klassisch, mit Armlehnen, unterschied sich nur wenig vom Interieur anderer Cafés jener Zeit. In den 1970er Jahren entwickelte sich das Café Beckhoff dann aber zum beliebten Treffpunkt für Schüler. Besonders die älteren Schülerinnen vom nahen Josef-Albers-Gymnasium, anfangs noch ein reines Mädchengymnasium, verbrachten hier gerne ihre Freistunden. Und wo Mädchen waren, da waren auch Jungen.
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Und so hockten der junge Leopold Blum und „Frankie Goes to Paris“ im Beckhoff und harrten der Mädchen, die an diesem Tag nicht kamen, das Café war relativ leer. Frau Griehl, schon damals eine Institution als Servicemitarbeiterin, servierte Frankie seine geliebte „Grillage-Eistorte“, dazu einen „Schok“ (Kakao mit Sahnehäubchen) und einen Cognac. Der junge Blum bekam einen schwarzen Kaffee und ein Stück Herrentorte.
Die beiden hatten ihre Tortenstücke gerade verputzt, als Konditormeister Hans Beckhoff aufgeregt mit den Armen flatternd durch den Laden lief. Der junge Herr Blum und „Frankie Goes to Paris“ sahen sich fragend an, hofften, dass vielleicht die gesamte Klasse 13 vom „Mädchengymnasium“ im Anmarsch wäre. Aber weit gefehlt, statt der Damen kamen die Herren von der Polizei. Bodyguards inspizierten schnell alle Räume. Der alte Herr Beckhoff zeigte mit einem Mal auf Blum und „Frankie Goes to Paris“: „Was ist mit denen, können die bleiben?“
Die Bodyguards starrten Blum und Frankie lange an, die, ohne mit der Wimper zu zucken, zurückstarrten. „Können bleiben!“, sagte der Chef-Bodyguard. Der alte Herr Beckhoff schien enttäuscht. Vermutlich hatte er nicht vergessen, dass „Frankie Goes to Paris“ mal versehentlich einen Strauß Trockenblumen im Café abgefackelt hatte.
Nachdem das geklärt war, betrat „Birne“ das Café. Kanzlerkandidat Dr. Helmut Kohl lächelte den beiden Existenzialisten im Vorbeigehen freundlich zu und besetzte mit seiner Entourage den gesamten hinteren Raum, wo er zwei Stücke Erdbeertorte bestellte. Ministerpräsident Kohl war auf Wahlkampftour in Bottrop. Und sein Wahlkampfleiter drücke den beiden völlig perplexen Existenzialisten Blum und Frankie auch gleich ein Wahlkampfset in die Hände: CDU-Aufkleber, Sticker, Flyer und für jeden ein Deutschlandfähnchen.
Und so hockten an jenem Tag der junge Herr Blum und sein Freund „Frankie Goes to Paris“ leicht geschockt im Café Beckhoff und schwangen Deutschlandfähnchen für den Klassenfeind. Nur gut, dass die Mädels aus der Dreizehnten an diesem Tag keine Freistunden hatten.
„Hallo, was haben Sie unserem Kind gesagt?!“ Eine Frauenstimme zog Herrn Blum aus seiner Erinnerung zurück ins Café KRAM. „Ich, äh … ich hab den Kohl nicht gewählt, ich schwör’s“, entfuhr es Leopold Blum, der einen verwirrten Eindruck machte.
„Ja, unsere Sieglinde-Emanuelle ist da wohl etwas überempfindlich, sie mag auch keinen Kohl. Entschuldige dich bei dem Opa.
„Tschuldigung“, hauchte Sieglinde-Emanuelle verlegen und ging mit ihrer Mutter davon.
Langsam sortierten sich Herrn Blums Gedanken wieder. Das Café Beckhoff war seit vielen Jahren Geschichte. Blum musste an seinen alten Freud „Frankie Goes to Paris“ denken, hatte ihn seit 30 Jahren nicht mehr gesehen. Frankie hatte immer erzählt, er würde nach Paris umziehen, ist dort aber nie gelandet, daher der Spitzname. Das Letzte, das Leopold Blum über ihn gehört hatte, war, dass man Frankie in einer Tango-Bar in Berlin-Charlottenburg gesehen hatte. Tango, ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann, ja, das würde zu Frankie passen.
Udo Schucker
Gewidmet meinem alten Freund Frank Brandenburger, dem letzten Existenzialisten. Paris t’attend!
Danke an Stadtführerin Antje Herbst für ihre Unterstützung.
Alle Herr-Blum-Geschichten finden Sie hier: https://wat-gibbet.de/herr-blum-geschichten/
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