Kein Taj Mahal für Tischler
Absurdes Theater mit Estragon und Vladimir.
Unsere beiden Protagonisten sitzen diesmal am Rathausplatz auf einer Bank und warten wie immer auf Godot. VLADIMIR liest in der WAZ.
ESTRAGON (verweist mit einem Kopfnicken auf die WAZ)
Und, wat sacht die Watz?
VLADIMIR (in die Zeitung blickend)
Der Spargel wird teurer. Maria und Josef feiern goldene Hochzeit. Polizei meldet ruhigen „Carfreitag“. Ein Satiriker versucht jetzt einmal im Monat die Leser zu belustigen, nachdem der Stadtschreiber kalten Kaffee serviert hat. Und ab Oktober soll dann eine KI wöchentlich „Blondie-Witze“ erzählen.
ESTRAGON
Also im Westen nichts Neues.
VLADIMIR
Übrigens, herzlichen Glückwunsch nachträglich!
ESTRAGON
Danke … äh, wofür?
VLADIMIR
Nicht für dich. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung hatte letzte Woche Geburtstag. Am 3. April 1948 erschien die erste Ausgabe der WAZ.
ESTRAGON
Wann hab ich eigentlich Geburtstag?
VLADIMIR
Wir haben die Weltbühne am 5. Januar 1953 in Paris betreten.
ESTRAGON
Sind wir Zwillinge?
VLADIMIR
Kann man so sagen, aber nicht eineiig.
ESTRAGON zieht seine Augenbrauen weit nach oben, grübelt. Dann weckt eine Menschenschlange plötzlich seine Aufmerksamkeit. Die Menschen in der Schlange schauen alle schweigend auf den Boden und schleichen im Gleichschritt in Richtung Saalbau.
ESTRAGON (stupst VLADIMIR an)
Guck mal, ist das die Montagsdemo?
VLADIMIR (schaut auf)
Heute ist Mittwoch.
ESTRAGON
Markttag, da haben die Demonstranten doch frei?
VLADIMIR
Nein, das ist keine Demo, das ist die „German Angst“, die sich hier manifestiert und durch Bottrop schleicht.
ESTRAGON
Ach, wegen Bottrop-Marxloh?
VLADIMIR
Neiiiiiiiinnnnnnn! Du hast das M-Wort benutzt! Jetzt musst du in die rechte Ecke.
ESTRAGON
Wie, M-Wort, rechte Ecke, ich versteh‘ nich‘.
VLADIMIR
Das M-Wort, also dieser Duisburger Stadtteil, steht in Bottrop seit ein paar Wochen auf dem Index. Wer’s öffentlich ausspricht, muss in die rechte Ecke und braune Socken tragen.
ESTRAGON
Ich finde braune Socken zum Kotzen.
VLADIMIR
Da musste jetzt durch. Und wenn dich das nächste Mal jemand nach dem orientalischen Hansazentrum fragt, dann sagst du einfach: Ich finde die Idee grundsätzlich interessant, über Details müsse man noch nachdenken. Punkt! Così fan tutte.
ESTRAGON
Und wie lange muss ich in der rechten Ecke bleiben?
VLADIMIR
Du bist nicht populär, da reichen ein, zwei Tage.
ESTRAGON
Das ist doch absurd.
VLADIMIR
Nein, wir beide sind absurd, das In-die-Ecke-stellen ist die Realität.
ESTRAGON
Eine absurde Realitätstheorie.
VLADIMIR
Die Ecke ist ein Überbleibsel der schwarzen Pädagogik, das in unser kollektives Bewusstsein eingegangen ist. Früher mussten Kinder im Kindergarten oder in der Schule auch in die Ecke, wenn sie was Falsches gesagt haben. Und viele Gehirne sind einfach zu bequem, um zu differenzieren. Also, ein falsches Wort, ab in die Ecke.
ESTRAGON
Kann ich nicht wenigstens in die linke Ecke?
VLADIMIR
Leider nein, die aus der linken Ecke wurden alle in die rechte gestellt. Is‘ für die meisten Gehirne so einfacher.
ESTRAGON
Was sagt denn der Oberbürgermeister dazu?
VLADIMIR
Ich finde die Idee grundsätzlich interessant, über Details müsse man noch nachdenken.
ESTRAGON
Aber is‘ das ganze Orientalen-Ding nicht nur ein Ablenkungsmanöver, um den OB wuschig zu machen?
VLADIMIR
Vermutlich. Aber dem OB scheint das egal zu sein, der möchte doch nur noch die Bauruinen in der City loswerden, um jeden Preis, damit er sich auf den Bau seines Bürokratie-Monuments fokussieren kann. Wenn seine Amtszeit endet, will er schließlich was Großartiges hinterlassen, nicht nur Dämmmatten für Eigenheime.
ESTRAGON
Ein Taj Mahal für seine große Liebe, die Verwaltung? Gut, man kann ihn ja verstehen. Er ist ja eigentlich ein Netter, wirkt immer so bescheiden. Reicht da nicht vielleicht ein Bernd-Tischler-Weg? Oder eine Allee? Ganz schick wäre ein Boulevard. Der Bernd-Tischler-Boulevard?
VLADIMIR
Haha, Boulevard der Dämmerung. Ich mein, in fünf Jahren übernimmt die KI sowieso die Hälfte aller Verwaltungsarbeiten. Die Bürger erledigen in Zukunft ihre Amtsgeschäfte am Smartphone. Wir brauchen keine 150 Millionen teuren Stallungen für einen abgehalfterten Amtsschimmel. Wir brauchen starke Rechenzentren, für eine bürgerfreundliche Verwaltung der Zukunft. Mal was wirklich Innovatives. Und nicht so Blendgranaten wie Innovation City.
ESTRAGON
Ich hätte da eine Idee.
VLADIMIR
Für die Verwaltung?
ESTRAGON
Nein, für den Nachlass. Eine Skulptur, in Marmor gemeißelt vom Bottroper Bildhauer Guido Hofmann.
VLADIMIR
Eine Skulptur? Wie soll die aussehen?
ESTRAGON
Zwei Immobilen-Haie ziehen einen Mann über einen Tisch. Vielleicht so leicht abstrakt dargestellt? Der Hofmann kann da ja mal eine Skizze machen. Sponsoren für so ein Projekt finden sich sicher schnell.
VLADIMIR
Ja … ja, das hat was. Würde die Amtszeit sehr plastisch beschreiben, hätte was Heroisches und wäre sogar noch eine Art Mahnmal für seine Nachfolger. Der leichtgläubige OB, der jahrelang tapfer gegen die Übermacht der hinterhältigen Immobilienspekulanten kämpft und sich am Ende seiner Amtszeit auf dem Altar der Lokalpolitik opfert.
ESTRAGON
Was wohl der OB dazu sagen würde?
VLADIMIR
Nix, der lässt lieber den BEICHTVATER der SPD sprechen: „Wir finden die Idee grundsätzlich interessant, über Details müssen wir aber noch nachdenken.“
Bürgerbegehren für eine lebenswerte Stadt
„Neustart Bottrop“ ist das Bürgerbegehren für eine lebenswerte Stadt. Wenn Sie den Bau eines Verwaltungspalastes am Standort des Saalbaus verhindern wollen und stattdessen gemeinsam mit anderen Bottropern für eine nachhaltige Belebung der Innenstadt sind, dann sollten Sie am Bürgerbegehren teilnehmen. Alle Informationen zum Bürgerbegehren finden Sie auf der Website: https://neustart-bottrop.de/