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Ostpreußen

Ein Flüchtlingsdrama in 7 Bildern von Evelina Velkaité

Samstagnachmittag. Ich schlendere durch die Stadt und treffe am „Sylter Treff“ – wie der Treffpunkt vor dem „AK1“ an der Poststraße scherzhaft genannt wird – den Musikagenten, Autor und istrischen Trüffel-Schnüffler Igor Albanese nebst Barbara, Gattin und Muse. Am AK1 haben sich, wie fast jeden Samstag bei schönem Wetter, auch diesmal einige Personen zu einem spontanen Plausch bei Sekt und Selters versammelt.

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„Trinkst du ein Glas mit?“, fragt Igor. Klar, da sag’ ich nicht nein. Das Leben ist kurz und der Tod dauert ewig. Cheers!
„Kennst du eigentlich Evelina Velkaité? Sie ist eine bekannte Künstlerin, hat mehrere Artawards gewonnen und auch schon im Quadrat ausgestellt?“, mit diesen Worten stellt mir Igor eine attraktive Dame aus dem Memelland vor.

Nein, ich kannte die litauisch-deutsche Künstlerin Evelina Velkaité und ihr Opus bis dato noch nicht. Nach einem kurzen Gedankenaustausch ist dann schnell klar: Ich habe eine neue Story für „wat gibbet“. Und so kehre ich an diesem Samstag nicht mit Knabberzeug für den Netflix-Abend zurück, sondern mit einer Inspiration für diesen Beitrag.

Flucht und Vertreibung

Nach Onlinedurchsicht von Evelina Velkaités Bildern, bleibt eine Bilderserie sofort bei mir hängen: „Ostpreußen“. Wenn ich an die ehemalige deutsche Provinz Ostpreußen denke, die sich zeitweise bis zum Memelland erstreckte, dann rückt einerseits die Provinzhauptstadt Königsberg mit der altehrwürdigen Albertus-Universität in den Fokus meiner Gedanken. Hier hat Immanuel Kant, einer meiner Lieblingsphilosophen der Aufklärung, die Kritik der reinen Vernunft gelehrt und seinen berühmten „kategorischen Imperativ“ formuliert.

Anderseits muss ich auch sofort an Flucht und Vertreibung denken. Ein Thema, das relevanter nicht sein könnte. Im Winter 1945 flohen etwa zwei bis drei Millionen Ostpreußen vor der russischen Soldateska über die zugefrorene Ostsee. Etliche brachen dabei in der dünnen Eisdecke, die sich über das frische Haff gelegt hatte, mit ihren oft überladenen Pferdewagen ein. Hunderttausende starben.

Völlig erschöpft in Westdeutschland angekommen, waren die deutschen Flüchtlinge aus dem Osten damals vielerorts genauso unerwünscht wie die Flüchtlinge heute.

Evelina Velkaités historisch gewähltes Sujet bekommt dadurch eine aktuelle Note. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – verbunden mit kurzen, pastösen Pinsel- und Ölkreidestrichen. Die Künstlerin schildert in einem impressionistisch anmutenden Zyklus die ganze Dramatik der damaligen Flucht.

Ausgezeichnet

Velkaité, die zeitweise in Bottrop wohnt, wurde 1982 an der Kurischen Nehrung geboren und studierte von 2004 bis 2012 an der Folkwang Universität Essen und der Freien Akademie der bildenden Künste Essen sowie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel.

Velkaites bisheriges Werk ist geprägt von ihrer Auseinandersetzung mit der Natur. Ihre Arbeiten sind oft abstrakt und von melancholischer Stimmung, erinnern an Traumbilder. Die Malerin spielt gerne mit Licht und Schatten, Farben und Formen, um die Schönheit und Komplexität der Welt zu vermitteln.

Evelina Velkaités Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Litauen und anderen Ländern gezeigt. Sie ist Preisträgerin des Förderpreises der „Großen Kunstausstellung NRW“ (2014), des Kunstpreises der Stadt Oberhausen (2021) und zahlreichen anderen Auszeichnungen.

In Oberhausen ist Velkaité vor allem durch ihre Beteiligung an der Kunstausstellung „Kunsthaus Haven“ bekannt. Im Jahr 2018 war sie eine der fünf Künstlerinnen, die die Ausstellung in der Kranhalle in Oberhausen-Dümpten gestalteten. Ihre Werke wurden auch in der Ausstellung „Heißer Kampf hinter kühler Oberfläche“ im jungen Museum Bottrop gezeigt. Während der Jahresausstellung Bottroper Künstler 2021 im Josef Albers Museum Quadrat, präsentierte sie ihre Exponate in der Einzelausstellung.

Zwei ihrer Werke hängen aktuell im Bottroper Café Mio. Evelina Velkaité bezieht übrigens in diesen Tagen ihr neues Atelier in Düsseldorf, das sie einmal im Monat für Besucher öffnen wird.