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Hasch-Party bei der Jungen Union

Wie die jungen Christdemokraten unabsichtlich Bottrops größte Haschisch-Party im Overbeckshof veranstalteten

Okay, die Headline ist ein wenig Boulevard, benennt aber die wesentlichen Punkte der seltsamen Ereignisse, die sich im September 1976 im Bottroper Stadtgarten zutrugen.

Als Friedrich Merz in einem TV-Interview sagte, dass er als Kanzler die Legalisierung von Cannabis wieder rückgängig machen wolle, hatte ich so einen „Jason-Bourne-Moment“. Nein, ich entdeckte nicht, dass ich vor 40 Jahren mal eine Kampfmaschine des MAD war. Vielmehr ließ die Aussage des CDU-Politikers vor meinem inneren Auge ein paar Erinnerungsfetzen aufflackern, die sich nach und nach in meinem Hippocampus-Kino zu einer kompletten Szene zusammenfügten.

Party im Pferdestall

Ich werde versuchen, die verdrängten Geschehnisse jenes Samstagabends im Jahr 1976 zu rekonstruieren. Die Handlung spielt an verschiedenen Orten: der alten Polizeiwache, dem Bistro-Piccadilly, dem Bottroper Stadtgarten und einer Party-Location im Overbeckshof. Letztere nannte sich damals entweder „Pferdestall“ oder „Haferkiste“ – die genaue Bezeichnung ist mir entfallen. Der Eingang lag seitlich im hinteren Teil des Gebäudes.

Der „Pferdestall“ war ein beliebter Ort für allerlei Festlichkeiten. Man betrat einen großen, rustikal eingerichteten Partyraum. Eine kleine Theke, Heuballen und Pferdeboxen mit Tischen und Bänken prägten das Ambiente. Ein kurzer Gang führte zum Toilettenbereich des Restaurants. Auf diesem Gang lag eine Perserteppichbrücke, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird.

1976

Für mich war 1976 ein tolles Jahr. Es gab den Jahrhundertsommer und den Jahrhundertwein. Am 1. Juni 1976 trat ein neues Gesetz in Kraft, das Kirchhellen mit der Stadt Bottrop zusammenschloss. Und unser ehemaliger Oberbürgermeister Ernst Wilczok verhinderte, dass Bottrop im Zuge einer Verwaltungsgebietsreform zum Essener Vorort wurde. Ich drehte meinen zweiten Spielfilm und wurde versehentlich zum Gesamtschulsprecher der Berufs-, Berufsfach-, Handels- und Fachoberschulen gewählt. Sehr zum Verdruss der Jungen Union, deren Kandidat eigentlich als Spitzenreiter ins Rennen gegangen war. Und ich muss gestehen, dass ich diese Position schamlos ausnutzte, um die Premiere meines Spielfilms „slow motion“ im Lichthof der Berufsschule zu feiern.

Trailer Spielfilm „slow motion“

Bundestagswahl

Am 3. Oktober 1976 war Bundestagswahl. Ich denke, es war der Samstag vor der Bundestagswahl 1976, als die Junge Union ihre Party im Overbeckshof veranstaltete. Eines ihrer Mitglieder, Rolf K., kellnerte damals gelegentlich im Bistro-Piccadilly. Rolf hatte eine pfiffige Idee, glaubte er zumindest: Er lud einfach zahlreiche Bistro-Piccadilly-Gäste zur Party der Jungen Union ein, in der Hoffnung, so noch ein paar Wählerstimmen abzugreifen oder vielleicht ein paar neue Mitglieder zu gewinnen. Rolf war eine echte Stimmungskanone und ließ es auf Partys immer so richtig krachen. Auch bei den Gästen im Bistro war Rolf K. sehr beliebt.

Und so war es kein Wunder, dass fast alle Rolfs Einladung folgten und sich an jenem besagten Abend auf der Party der Jungen Union im „Pferdestall“ (oder „Haferkiste“) einfanden. Man traf Leute von der SDAJ, von den Falken, den Jusos und sogar ein paar Zombies von der alten KPD/ML waren anwesend. Die jungen Unionisten waren schnell in der Minderheit. Doch alle verstanden sich gut und hatten Spaß an der Feier.

Haschplätzchen

Jemand hatte Haschplätzchen gebacken und als Gastgeschenk mitgebracht. Die leckeren Kekse gingen weg wie warme Semmeln. Und nach einer Stunde herrschte eine ausgelassene Stimmung. Ein berauschter Partygast, der heute zu den prominenten Bürgern dieser Stadt gehört, hatte die Perserteppichbrücke auf dem Weg zur Toilette entdeckt und diese kurzerhand mit nach draußen genommen. Dort saß er dann auf dem Teppich und versuchte zu fliegen. Er bekam danach den Spitznamen Aladin.

Der süßliche Geruch des Haschischs hing in der Luft, vermischt mit dem herben Duft feuchten Herbstlaubs. Von den Bistrogästen hatten einige ein oder zwei Gramm Shit dabei, was in der damaligen Zeit üblich war. Kiffen gehörte in den 1970er Jahren für viele zum Alltag. Und so bildeten sich vor dem „Pferdestall“ kleine Gruppen, die einen Joint kreisen ließen. Ich gehörte zu einer dieser Gruppen. Wir standen etwas abseits zum Stadtgarten hin und hatten eine Hasch-Pfeife mit einem exzellenten „roten Libanesen“ gestopft.

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Space Oddity

Aus dem Pferdestall ertönte David Bowies Stimme: „Ground Control to Major Tom. Take your protein pills and put your helmet on.“ Willy, Werner, Peter, Christel und ich waren kurz davor abzuheben. Wir inhalierten tief, ließen die Pfeife kreisen und genossen die klare Nacht, als Willy plötzlich glaubte, UFOs zu sehen. Zwei sich schnell bewegende Lichter kamen durch den nächtlichen Stadtgarten auf uns zugeflogen.

Die leuchtenden Objekte näherten sich rasant, wie Glühwürmchen auf Steroiden. Waren wir wirklich bereit für den ersten Kontakt?

„Commencing countdown, engines on“, dröhnte Bowies Stimme aus dem Pferdestall, als ob sie unsere Situation kommentieren wollte. „Five, four, three, two…“

Plötzlich zerplatzte unsere außerirdische Fantasie. Die Lichter entpuppten sich als Autoscheinwerfer, die „grünen Männchen“ als Polizeibeamte. Ihr Wagen kam drei Meter vor uns zum Stehen.

Panik erfasste uns. Wie auf Kommando griffen wir in unsere Taschen, warfen hastig die Haschkrümel ins Gebüsch. Nur Willy, völlig neben sich, stopfte die noch glimmende Pfeife in seine Jackeninnentasche.

„Scheiße, Willy!“, zischte ich, als ich sah, wie seine Jacke zu dampfen begann. Das Knarren von Autotüren ließ uns erstarren. Die Beamten stiegen aus.

Der dampfende Willy schenkte uns ein breites Grinsen, als hätte er gerade den Jackpot in einer kosmischen Lotterie geknackt. Die Situation war so absurd, dass wir in Gelächter ausbrachen, das klang, als hätte jemand eine Horde hysterischer Hyänen losgelassen. Unser Lachkrampf lenkte die Beamten kurz ab. Willy nutzte die Gunst der Sekunde und schleuderte die qualmende Pfeife unbemerkt ins Gebüsch, als wäre sie eine heiße Kartoffel aus dem Weltraum.

Wie sich herausstellte, hatten Unbekannte Autos an der „Dieter-Renz-Halle“ demoliert. Die Polizei überprüfte daraufhin alle Jugendlichen, die sich in der Nähe aufhielten. Wer keinen Ausweis hatte, durfte eine Spritztour zur Wache am Droste-Hülshoff-Platz machen – all-inclusive – versteht sich.

Sacco und Vanzetti

Stoned, wie wir waren, hatte die ganze Aktion für uns einen großen Unterhaltungswert. Wir fühlten uns wie Sacco und Vanzetti und fingen im Polizeiwagen an zu singen: „Euer Kampf, Nicola und Bart, brannte weit und wurde Fanal. Brannte rot und wurde zum Schrei: ‚Gebt Sacco und Vanzetti frei!'“

Einer der Beamten drehte sich um, sein Gesicht so freundlich wie ein Schlagring: „Sie gehören aber nicht zur Jungen Union, oder?“

„Doch, doch, zum linken, christlichen Flügel“, antwortete mein Kumpel Peter. Wir hatten einen höllischen Spaß. Und die Beamten schrieben unsere übertriebene Heiterkeit dem übermäßigen Alkoholgenuss zu. Schließlich hatte man uns direkt von einer berauschenden (Wahl-)Party weggeholt. Die Beamten kannten damals nur die Wirkung von harten Drogen wie Alkohol. Die Wirkung von weichen Drogen wie Cannabis war vielen noch nicht so geläufig.

Im Großen und Ganzen blieben alle sehr höflich. Nachdem man unsere Personalien überprüft hatte, durften wir gehen. Meiner Bitte, uns mit dem Mannschaftswagen wieder zur Party zurück zu chauffieren, wurde abgelehnt. An den Rest der Nacht kann ich mich leider nicht mehr erinnern.

Die SPD hatte bei der Wahl ’76 einen Kinnhaken kassiert, die Unionsparteien bekamen zwar die meisten Stimmen, aber die rot-gelbe Truppe hielt sich an den Seilen wie ein angeschlagener Boxer. Bundeskanzler Helmut Schmidt blieb am Ruder, als wäre nichts passiert. Die sozialliberale Koalition wurde fortgesetzt.

Rolf K. behauptete später, dass zwei Jusos nach der Hasch-Party zur dunklen Seite übergelaufen seien. Ich glaube allerdings, es waren FDP-Burschen – die hatten schon damals ein Rückgrat wie ein Gummischlauch. Ein paar Jahre später stießen die Liberalen Bundeskanzler Helmut Schmidt von der Klippe, wie einen lästigen Zeugen. Die SPD wollte nicht beim Kinder- und Arbeitslosengeld den Rotstift ansetzen.

Rolf K. ist übrigens noch heute als Stimmungskanone unterwegs. Bei der letzten italienischen Nacht in der Kulturkirche Heilig Kreuz hat er die Polonaise angeführt.

Udo Schucker

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