Von Claudia Roosen, 03.11.2024. Lesedauer: 9 Minuten

Sieben Signale für einen Sieg der Demokratie

Wie ist es möglich, dass ein Kandidat wie Trump trotz all seiner bekannten Verfehlungen mit Kamala Harris Kopf an Kopf liegt? Vom Versuch, die letzte Wahl zu kippen, über zwei Amtsenthebungen, vier Anklagen und 86 Strafanzeigen bis hin zu Verurteilungen wegen sexueller Übergriffe, Rassismus und Frauenfeindlichkeit sowie der Ansage das Militär auf politische Gegner zu hetzen – dennoch besteht eine 50-prozentige Chance, dass er erneut Präsident wird. Ein Grund dafür ist jene stabile und wachsende Bewegung, die Trump nicht trotz, sondern wegen dieser Vergehen unterstützt. Zeit für etwas Zuversicht!

Auch wenn die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit fatalem Ausgang vorhersagen: Kamala Harris wird die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten. Am 20. Januar 2025 wird sie Amerikas erste Präsidentin, die erste Frau als Oberbefehlshaberin und die erste Person asiatischer Herkunft im höchsten Staatsamt sein. Während Joe Biden die Perspektive eines Aufwachsens in der Mittelschicht des industriellen Kernlands Amerikas mitbrachte, bringt Harris die Sichtweise einer Frau mit, die im Silicon Valley und digitalen Zeitalter in Kalifornien gelebt und gearbeitet hat – und damit eine neue Perspektive in die Präsidentschaft.

Ihre Amtseinführung wird das Ende einer fast ein Jahrzehnt andauernden Ära markieren, in der Donald Trump eine zentrale Figur der US-Politik war. Trump wird zu einer unschönen Randnotiz in der Geschichte werden, sein Name wird auf Listen der „schlechtesten Präsidenten“ erscheinen und in Büchern und Artikeln über Korruption erwähnt werden.

Für Politikstudenten wird Trumps Aufstieg mit einer Gegenreaktion gegen die unumkehrbaren demografischen Veränderungen in den USA in Verbindung gebracht werden, die dazu führen werden, dass die Mehrheit der Bevölkerung in wenigen Jahren eher wie Harris aussehen wird als wie Trump. Sie ist die Zukunft. Er ist die Vergangenheit. Und am Wahltag werden die amerikanischen Wähler diesen Wandel annehmen.

Dies alles wird möglich sein, weil Harris bei den Wahlen republikanisch inspirierte Umfragen Lügen strafen und mit einer größeren Mehrheit gewinnen wird, als die Meinungsforscher erwartet haben. Trump wird sich noch einmal mit großem Geheul aufbäumen und das Wahlergebnis abstreiten. Doch am Ende werden seine Verschwörungstheorien und Anfechtungen der Rechtsprechung erfolglos bleiben, wie schon 2020 und 2021. Warum die Experten, die in den letzten Jahren oft falsch lagen, erneut falsch liegen werden, hat mehrere Gründe.

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Erstens hat Harris eine außergewöhnliche Kampagne geführt, makellos umgesetzt von ihrem Team und von ihr. Seit Joe Biden am 21. Juli angekündigt hat, dass er nicht erneut kandidieren werde, hat sie nicht einen wirklichen Fehltritt begangen. Ihre ersten öffentlichen Reden waren voller neuer Energie und Visionen, die in der amerikanischen Politik dringend gebraucht wurden. Der Nominierungsparteitag der Demokraten endete mit einer großartigen Rede von ihr, und sie degradierte Trump gleich im ersten TV-Duell. Die Wahl von Minnesotas populistisch-robustem Gouverneur Tim Walz als Vizekandidaten verlieh ihr die notwendige Bodenhaftung.

Ihr jüngstes „Schlussplädoyer“ am Ellipse in Washington – von wo aus Trump am 6. Januar 2021 seinen Putschversuch startete – war ein perfekt inszenierter und durchgeführter Abschluss einer rasanten Kampagne, in der sie klarstellte, dass sie genau die Präsidentin ist, die Amerika jetzt braucht. Durch diese Bemühungen und die Disziplin, die sie in das Rennen eingebracht hat, hat Harris auch konkrete Ergebnisse erzielt, die ihren Sieg direkt beeinflussen werden. So hat sie deutlich mehr Geld gesammelt als Trump.

Harris hat im Vergleich zu Trump ein überlegenes Ground Game, da ihre Kampagne auf 2.505 Mitarbeitende und 358 Büros in den wichtigen Swing-States setzt, was deutlich umfangreicher ist als Trumps dortige Operationen. Während Harris‘ Team eine gezielte Strategie auf allen Ebenen verfolgt, lagert Trump vieles an Elon Musk aus. Dessen chaotische Crew hat Motivationsprobleme direkt auf Wähler zuzugehen und gilt als leidenschaftslos und überwiegend ineffektiv.

Harris hat eine neue Koalition mobilisiert, die für ihren Sieg verantwortlich sein wird, unterstützt durch eine riesige Wahlbeteiligungskampagne und gezielte Botschaften, die in jeder wichtigen Wählergruppe mit konkreten Ideen auf Resonanz stießen. Sie profitierte auch von der positiven Bilanz der Biden-Harris-Allianz und von überzeugenden, oft provokanten Botschaften. Wie bereits 2022 und bei Wahlen davor und danach, wird das Modell der Meinungsforscher wieder falsch liegen, da es den Widerstand der Frauen gegen die Aufhebung von Roe v. Wade unterschätzt.

Die Wahl des frauenfeindlichen Trolls JD Vance als Trumps Vizekandidat, sein wiederholtes Anfechten des Rechtes auf Schwangerschaftsabbruch und Trumps übergriffiges Versprechen, Frauen „ob sie wollen oder nicht“ zu beschützen, verärgern weibliche Wählergruppen aller Generationen. Frauen fühlen sich dadurch bevormundet, und deshalb zeigen die bisher über 30 Millionen abgegebenen Stimmen eine Genderlücke von etwa zehn Prozent.

Dieser „Gendergap“ ist eine schlechte Nachricht für Trump, zeigen doch Umfragen, dass Harris bei Frauen durchweg viel besser abschneidet als er. Zudem könnten wichtige Gruppen von Wählerinnen übersehen worden sein, darunter sogenannte „Whispering Women“ – Frauen, die in den Modellen nicht auftauchen, weil sie aus Gruppen stammen, die traditionell anders abgestimmt haben, die jedoch im Wahllokal insgeheim für Harris stimmen.

Die Vizepräsidentin hat klugerweise die Gewinnung unentschlossener Wähler aus dem Lager der Republikaner zu einem zentralen Ziel ihrer Kampagne gemacht und die Unterstützung prominenter Republikaner wie Liz Cheney und ihrem Vater sowie hunderter ehemaliger Trump-Mitarbeiter und republikanische Beamte landesweit, gewonnen. Was Modellierer wie Nate Silver schockieren wird: Harris hat gute Chancen eine bisher undenkbare Anzahl republikanischer Mandate zu gewinnen, in einigen Staaten vielleicht 15 bis 20 Prozent der GOP-Stimmen. Auch eine höhere Wahlbeteiligung unter jungen Wählern und People of Color allgemein könnte überraschend sein.

Seit sie ins Rennen eingestiegen ist, hat Harris den Abstand zu Trump, bei dem Joe Biden teilweise hinterherhinkte, geschlossen und liegt in nationalen und in den sieben entscheidenden Staaten entweder gleichauf oder vorne. Umfragen, die im Fernsehen oder Internet erscheinen, sind jedoch durch bis zu 100 Umfragen verzerrt, die von Trump-Unterstützern finanziert wurden. Laut dem demokratischen Strategen Simon Rosenberg, einem der wenigen, der die Wahlen 2022 korrekt vorausgesagt und den Hype um eine „rote Welle“ abgelehnt hat, liegt Harris in unabhängigen Umfragen landesweit im Durchschnitt 2,4 Prozentpunkte vorne.

Frühe Wahlbeteiligung und Registrierungsdaten unterstützen diese These. Berücksichtigt man die Fehler der Umfrageinstitute in der Vergangenheit, die wahrscheinlich tendenziösen Modelle entgegen aktueller Trends, die zu ihren Gunsten sprechen, deuten das daraufhin, dass Harris am 5. November gewinnt und das sogar mit deutlichem Vorsprung. Ein weiterer Beweis ist die Tatsache, dass Trump bereits wieder Lügen über „manipulierte Wahlen“ verbreitet. Mit anderen Worten: Auch Trump weiß, dass er verlieren wird.

Die Kampagne von Kamala Harris wird nicht nur von namhaften Republikanern, sondern auch von zahlreichen Celebritys begleitet, die aktiv Unterstützung mobilisieren. Dazu zählen Stars wie Beyoncé, Taylor Swift, Bad Bunny, Jennifer Lopez, Eminem, Ariana Grande, Bruce Springsteen, Julia Roberts, Meryl Streep, Oprah Winfrey und George Clooney. Sie alle nutzen ihre Reichweite, um Harris‘ Botschaften zu verbreiten.

Am Ende ist es oft ein kleiner Auslöser, der alles ins Wanken bringt – ein scheinbar unbedeutendes Detail, das wie der Flügelschlag eines Schmetterlings eine Kettenreaktion in Gang setzt. Eine winzige Veränderung, eine unscheinbare Bewegung, die genau im richtigen Moment stattfindet, kann die Menschen wachrütteln und das gesamte Gefüge erschüttern.

Ein letztes Argument, warum ich glaube, dass Harris gewinnen wird, ist der Common Sense. Die Wähler haben Fehler gemacht. Aber es gab nie eine so klare Wahl wie diese – zwischen Freiheit und Zwang, Demokratie und Alleinherrschaft, Licht und Schatten.

Auch das heutige Update lässt hoffen: Laut einer Gold-Standard-Umfrage im erzkonservativen Iowa liegt Harris dort unerwartet mit 3 Prozentpunkten vor Trump. Die Umfrage vom Des Moines Register und Mediacom Iowa erscheint immer kurz vor den Präsidentschaftswahlen und gilt als wichtiger Gradmesser für die Stimmung im Land.

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