Gegen die innere Uhr – Nachtschicht in Bottrop

Der Gong schlägt Mitternacht und ihr Arbeitstag hat gerade erst begonnen. Wenn sich die Welt zur Ruhe bettet, sind Bottrops Krankenschwestern, Assistenzärzte, Rettungssanitäter, Polizei und Taxifahrer konzentriert im Einsatz. Ein unachtsamer Moment kann Menschenleben kosten. Und im Kampf gegen die Müdigkeit und den gefährlichen Sekundenschlaf haben sie oft nur einen Verbündeten: Kaffee.

Im grellen Neonlicht versuchen sie wach zu bleiben und ihren Körper an den Ausnahmezustand zu gewöhnen. Bei Nachtarbeitern, die in Wachen, Notaufnahmen und Krankenhäusern Schichtdienst schieben, gehört permanente Alarmbereitschaft zum Berufsalltag. Das heißt nicht selten: maximale Anspannung von 15 Uhr nachmittags bis 6, 7 Uhr morgens – denn sobald das Einsatzsignal ertönt, muss alles ganz schnell gehen.

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Raubbau an eigenen Reserven

Fakt ist: Der Körper von Schichtarbeitern ist hart gefordert. Wenn nachts oder im Morgengrauen Temperatur, Blutdruck und Herzschlag auf dem Tiefpunkt sind, soll er volle Leistung bringen; wenn am wenigsten Verdauungssäfte produziert werden, Nahrung aufnehmen und tagsüber, wenn draußen Unruhe, Licht und Außengeräusche zunehmen, soll er abschalten und sich regenerieren. Schlafstörungen sind da noch das geringste Problem, einige Studien sprechen sogar von Herzerkrankungen und Krebs. Auch wenn nach einiger Zeit eine gewisse Anpassung erfolgt, ist die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Speziell in den letzten Stunden der Nachtschicht passieren laut Statistik mehr Fehler, die Unfallgefahr am Arbeitsplatz ist signifikant erhöht.

Wie wir ticken

Morgenlerche oder Nachteule? Laut den neusten Erkenntnissen der Chronobiologie wird ein reiskorngroßer Nervenzellkern in unserem Gehirn zum Taktgeber. Austricksen lässt sich unsere innere Uhr kaum, der soziale „Jetlag“ ist speziell bei Wechselschichten nicht so einfach auszugleichen. Unser Bio-Rhythmus lässt sich jedoch positiv stimulieren. So wirkt eine ausgewogene Ernährung vorzeitiger Müdigkeit entgegen, während fette, kalorienreiche Mahlzeiten sowie große Portionen die Abgeschlagenheit verstärken. Was Sie noch beachten sollten, damit die Nacht zum Tag werden kann, ohne dass Ihre Gesundheit ständig Überstunden schiebt!

Neue Zeitfenster öffnen

Wer sich um Mitternacht ein 30-Minuten-Nickerchen leisten kann, verbessert später seine Konzentration. Um 4 oder 5 Uhr sollte die Mahlzeit dann besonders leicht ausfallen: z. B. eine Gemüsesuppe, etwas mageres Fleisch oder ein Joghurt. Idealer Weise wechselt die Schicht im Uhrzeigersinn: von der Früh- zur Spät- zur Nachtschicht und nicht umgekehrt.

Zuhause lautet die Devise: Klingel abstellen, Handy ausschalten, Zimmer abdunkeln – am besten immer zur gleichen Zeit. Schlafen Sie so lange wie möglich, denn ein chronisches Defizit führt nicht selten zu Reizbarkeit, Kopfschmerzen und schlimmstenfalls sogar Depressionen. Partner und die Familie sollten den geänderten Ablauf respektieren und Sie während der dringend notwendigen Regenerationsphase nicht stören. Auch regelmäßiger Ausgleichssport verbessert die Kondition, sofern sich das bei dem oft gnadenlosen Pensum dieser Berufsgruppen verwirklichen lässt.

Wenn jede Sekunde zählt

Plötzlich in Sekundenschlaf versacken? Im Feuerwehreinsatz, bei polizeilichen Spezialkommandos, dem Kollaps eines Patienten in der Notaufnahme oder anderen Krisen am Krankenbett kann das lebensgefährlich sein. Deshalb wird der tote Punkt im Schichtdienst oft mit Tabletten und anderen Aufputschmitteln bekämpft. Gesundheitsbewusste Schichtarbeiter weichen indessen auf Tee oder Kaffee aus. Nach Meinung führender Gesundheitsexperten sollte der Kaffee jedoch säurearm, magenschonend und aus ökologischem Anbau sein. So wird Bio-Kaffee leichter im Körper abgebaut als ein industriell geröstetes Produkt. Der Muntermacher ist jedoch möglichst schon vor der Nachtschicht zu trinken, da die Wirkung des Koffeins je nach Konstitution bis zu sechs Stunden anhält und den dringend erforderlichen Folgeschlaf stören kann.

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Wir machen durch bis morgen früh

Wenn die Sonne aufgeht, legen sie sich schlafen, die Arbeit gibt den Takt vor: Nicht alle Nachtarbeiter sind im Gesundheitswesen oder Wachdienst tätig, gut ein Drittel arbeitet im Verkehr oder verarbeitenden Gewerbe, um z. B. Autos, Lebensmittel oder Kleidung herzustellen. Auch in der Kreativbranche und Unterhaltungsindustrie gilt oft die „7-24“-Regel: Hinter der schicken Fassade lauern Selbstausbeutung und Verzicht. Überstunden, Erfolgsdruck, Erreichbarkeitszwang: Die attraktive Jobadresse kann auf diese Weise schnell zur Knochenmühle mutieren. Im Schraubstock der Deadlines steht Privates oft zurück und das Burn-out-Risiko wächst.

Produktiv bis zum Morgengrauen

Unsere Welt dreht sich täglich schneller und schneller. Vorbei die Zeiten, wo wir der Natur folgten: einem natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht, Hell und Dunkel. Der moderne Mensch hat die Sonne längst ersetzt durch Neonlicht und LEDs. Wir alle wollen alles – und das rund um die Uhr.
Doch damit morgens die Zeitung im Briefkasten liegt und auf dem Markt frisches Obst angeboten wird, müssen andere nachts wach bleiben.
Vom Obstverlader oder Schlaflaborant, Zeitungsdrucker, Discjockey, Pannendienst-Mitarbeiter, Taxi- oder Busfahrer: Sie alle tragen Nacht für Nacht mit großem persönlichen Einsatz zu unserer Lebensfreude oder Lebensqualität bei und zahlen selbst einen hohen Preis dafür.

Dr. C. Roosen