Auf den Spuren von Jean-Paul Sartre

Die besten Künstler-Cafés für Ihren nächsten Städte-Trip nach Paris. Oder: In welchen Bottroper Cafés trifft man heute noch Existentialisten?

Sie sind bekennender Atheist, lieben französische Nouvelle Vague Filme, nihilistische Philosophie, finden Treueschwüre „bourgeois“ und meiden Milchkaffee wie der Teufel das Weihwasser? Dann sind Sie in der Seele ein Existentialist. Da bietet es sich an, einmal auf den Spuren Ihrer großen Vordenker zu wandeln – an den historischen Originalschauplätzen von Paris. wat gibbet präsentiert Ihnen dazu die philosophische Hintertreppe. Sie führt zu den legendären Pariser Kaffeehäusern. Nach dem Sightseeing könnten Sie en passant dort einkehren und es sich bei Espresso oder Wein gemütlich machen – la vie en rose! Pardon, en noir … ;-)

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Wer seufzt nicht beim Gedanken an die Stadt der Liebe – und plant dann vielleicht, stimuliert von den ersten Frühlingsboten einen Weekend-Trip in die romantischste Metropole der Welt. Warum nicht schon bald über die Champs-Élysees schlendern, dann über den Künstlermarkt von Montmartre, die Mona Lisa im Louvre bewundern, die Aussicht vom Eiffelturm, über den Dächern von Sacré Coeur und am Ende der Eroberungstour in eines der berühmten Cafés einkehren, die Sartre und Camus als öffentliche Schreibbüros nutzten? Noch heute sind sie ein beliebter Treffpunkt für Literaten, Lebenskünstler, Tagträumer, Kaffee-Gourmets und die Haute Volée von Paris.

Die Kleidung: schwarz. Der Kaffee: ebenso.

Zur Zeit der Aufklärung, der Wiege des Existentialismus, bevorzugte der stilbewusste Pariser Intellektuelle Gehpelze mit nur einem Knopf und langem Revers, mit „Mouton doré“ und die Modeschöpfer hatten sich etwas besonders Raffiniertes ausgedacht: Herrenunterhosen mit feinen, farbigen Spitzen.
Wenn sich jetzt etwas in Ihnen umkrempelt, können wir zumindest für das starke Geschlecht Entwarnung geben: Der Stil des Café de Flore am Boulevard Saint-Germain Nr. 172 ist längst im 21. Jahrhundert angekommen und wurde schon im zwanzigsten von Jean Paul Sartre revolutioniert. Noch bis kurz vor seinem Tod am 15. April 1980 war das gedrungene Jahrhunderts-Genie mit der unverkennbaren Physiognomie – fleischige Nase, breiter Mund, dicke Hornbrille, kompakte Statur – häufig im alten Aristokratenviertel St. German des Prés in dem berühmten Künstlercafé anzutreffen: die Kleidung ebenso lässig wie sein realistischer Sprachjargon, mit einer Vorliebe für „Argot“ – drastische Worte, denen er als Bon Vivant auch Taten folgen ließ …

Ich küsse, also existiere ich.

1905 in Paris als Jean-Paul Charles Aymard Sartre geboren, Romancier, Dramatiker, Philosoph, Publizist und Schöpfer von Werken wie „La Nausée“ (Der Ekel 1949), „Die Transzendenz des Ego“ (1936) und „Die Mauer“ (1939) wird er später zur Schlüsselfigur der „Hommes à Passion“ – erotischer Freigeister, die sich jenseits gesellschaftlicher Dogmen in jenen moralischen Grauzonen aufhalten, die den Bohémiens vorbehalten waren. Jean Paul Sartre, nicht sonderlich attraktiv, oft mit öffentlichen Attributen wie „einäugige Kröte“ bedacht, besticht die Damenwelt – später sogar die schöne Chansonnette Juliette Greco – durch seine Nüchternheit und Intelligenz. Auch die Frauenrechtlerin Simone de Beauvoir – Ende 30, etwas herb und asketisch durchtrainiert – erliegt seinem spröden Charme und wird bald seine passionierte Musterschülerin.
Als Charismatiker des Existentialismus hat er noch andere Musen. Eine davon ist die reizende Anne-Marie Cazalis, auch als „Göttin von St. Germain des Prés“ bekannt. Ihre Markenzeichen sind – neben dem Eigensinn der damaligen Jeunesse Dorée blaue Augen unter unfrisiertem Jungenschopf und Aussprüche wie „Ich existiere, also küsse ich.“ Die Bee-Bop-Tänzerin und „Jazzkeller-Ratte“ trifft er bevorzugt im Les Deux Magots oder später in dem unterirdischen Nachtlokal Tabou. Hier ist Nomen kein Omen: Als Freidenker hat sich der Linksintellektuelle längst über die Tabus, Normen und Dogmen der bürgerlichen Gesellschaft hinweggesetzt.

Die Hölle – das sind die anderen

Ungefragt ins Dasein geworfen und ebenso unerbittlich und willkürlich am Ende der Lebensspanne wieder ausgelöscht, fühlt er sich als Mensch und Philosoph moralisch nur sich selbst verpflichtet. Leider findet die persönliche Freiheit am Anspruch des anderen ihre Grenzen. Doch das muss nicht so sein: Auch Simone de Beauvoir lehnt Monogamie rigoros ab und verspricht ihm gnadenlose Offenheit: alles erzählen, nichts beschönigen. Als seine literarische Weggefährtin sitzt die Frau mit dem zum Turban geknoteten Kopftuch zwar nächtelang mit ihm über schwelenden Aschenbechern im Café Flore, wo sie fast beiläufig epochale Schriften wie „Der Gast“ verfasst, mal in Oktavhefte, mal auf lose Blätter gekritzelt, aber sie lebt auch parallel andere Liebesbeziehungen. Dennoch bleibt das Paar, das sich bis zuletzt siezt, 51 Jahre lang zusammen: von 1929, als sie sich an der Universität kennenlernten, bis zu Sartres Tod. Die Geistesgröße hinterlässt ein epochales Oeuvre, das noch heute fasziniert. Es ist Folie für die Konflikte eines modernen Menschentyps, der – gierig, zerrissen, zynisch und desillusioniert – noch lange nicht überlebt ist.

Ohne Kaffee keine Revolution!

Cafés sind immer einen Besuch wert: Gelten sie doch als Geburtsstätten der existentialistischen Lebensphilosophie. Aber wozu in die Ferne schweifen? Als designierter Freigeist und Nicht-Milchkaffee-Trinker muss man nicht erst die halbe Welt bereisen, um einen wirklich guten schwarzen Kaffee zu trinken. Bestellen Sie doch mal einen ´Espresso Classico´ in ihrem Lieblingscafé: Dieser gilt als rigoroser Purist und besteht zu 80 Prozent aus feinsten Arabica-Bohnen. Wie er geröstet ist? Die Frage stellt sich allenfalls rhetorisch – natürlich à la française!

Mehr von Claudia Roosen auf www.roosen-for-schucker.de

Sartres Stamm-Cafés

Café de Flore
172 Boulevard Saint-Germain,
75006 Paris, Frankreich
Telefon:+33 1 45 48 55 26

Les Deux Magots
6 Place Saint-Germain des Prés
75006 Paris, Frankreich
Telefon: +33 1 45 48 55 25

Brasserie Lipp
151 Boulevard Saint-Germain
75006 Paris, Frankreich
Telefon: +33 1 45 48 53 91

La Coupole
102 Boulevard du Montparnasse
75014 Paris, Frankreich
Telefon: +33 1 43 20 14 20

Existenzialist vermisst! 🧐

Oder: In welchen Bottroper Cafés trifft man sie bis heute?

Im Café Corretto ist diese Spezies bisweilen noch anzutreffen. Aber auch im Café Kram wird mitunter ein Existenzialist gesichtet – beide Treffpunkte gelten als Schmelztiegel der Mentalitäten und Weltanschauungen. Frei nach Jean-Paul Sartre: Erweitern Sie Ihren Radius und dann – transzendieren Sie Ihr Ich!

Café Corretto
Gladbecker Str. 23,
46236 Bottrop
Tel.: 02041 7784197

Café Kram
Adolf-Kolping-Straße 1,
46236 Bottrop
Tel.: 02041 5670880