Die wundersame Welt der Susanne Bons
Auf der Jagd nach dem nächsten Aufreger tauscht Susanne Bons auch schon mal Pinsel und Spachtel gegen eine Kamera und fängt so manches magische Motiv für ihre Malerei ein. Dabei begibt sie sich bevorzugt an „Lost Places“ – verlassene Orte wie verfallene Gebäude, Abrisswände oder Stätten der Industriekultur. Ihr Credo: „Ich suche das Immaterielle in den Dingen, das äußerlich Sichtbare dient mir nur als Anregung.“
Da stehen sie plötzlich und sind doch zugleich nicht mehr vorhanden – die verzauberten oder sogar verwunschenen Orte auf den Bildern von Susanne Bons. Mumifizierte Luft sozusagen; ein Form gewordenes, körperhaft vorgeführtes Nichts, kaleidoskopisch aufgesplittert und dann fragmentiert
in radikal subjektive Bewusstseins-Segmente.
Sie bieten Raum für Interpretationen – vom Protest gegen ihren Abriss, die Vergänglichkeit alles Seins bis hin zu Vergleichen mit Held:innen der zeitgenössischen Kunst wie Julie Mehretu oder Zao-Wou Ki. Vor allem aber sind die vielschichtig durchkomponierten Exponate stets eins: ein Volltreffer. Mit jeder neuen Fotografie, Installation oder Malerei verblüfft Susanne Bons die Kunstwelt aufs Neue und gerät damit zunehmend auf den Radar der Sammler. Eine Einladung zum Staunen …
Tausendundeins Visionen
Einfach nur die Wirklichkeit abzubilden ist der freischaffenden Künstlerin nicht genug. Susanne Bons gibt sich erst zufrieden, wenn es ihr gelingt, eine neue Welt zu erschaffen; die Essenz eines Objektes herauszudestillieren und sein zugrundliegendes Wesen freizulegen. Die materielle Präsenz dient ihr dabei nur als Medium, Vehikel oder Vermittler: eine Einladung an den Betrachter, sich an dem facettenreichen Spiel der multidimensionalen Visionen zu beteiligen. Möglichkeiten werden Wirklichkeiten, eine Kopfreise beginnt …
Verwandlung & Verdichtung
Doch damit die Metamorphose gelingt, gilt es, den verlassenen Orten intuitiv eine neue Dimension zu verleihen, ihre patinierten Oberflächen und Strukturen optisch aufzubrechen und dann mit experimentell selektierten – teils auch kunstfremden – Materialien in einer anderen Sphäre zu spiegeln. Auf der produktionsästhetischen Ebene ergeben sich daraus reliefartige Flächen mit vielen Schichten und einer intensiven Tiefenwirkung. Das Ergebnis sind subtile Blickfänge oder pure Farbereignisse von frappierender Unmittelbarkeit.
»A ganz a starkes Bild!«
Dieser Ausruf entfuhr aktuell keinem geringerem als dem Malerfürsten Peter Tomschiczek beim Anblick eines Bons-Bildes im Rahmen des gemeinsamen Workshops in Bayern. Die einstige Freundschaft mit dem Schweizer Altmeister und Bauhaus-Vordenker Johannes Itten (†) sowie Emil Schumacher (†), einem der bedeutendsten Vertreter des Informel verleiht der saloppen Referenz eine zusätzliche kunstgeschichtliche Relevanz. Die Lust daran, das geistige Auge auf die Leinwand zu bannen sowie die Freude an Zitat und Formenspiel verbindet eben – manchmal über Generationen oder Epochen hinaus.
Susanne, als Künstlerin setzen Sie sich oft mit den spezifischen Eigenschaften von Orten auseinander, indem Sie ihren immanenten Geist – den „Genius Loci“ – aufspüren. Wo haben Sie Ihre besten Ideen?
Inspiration oder Eingebungen für neue Arbeiten finde ich überall und manchmal völlig unverhofft: bei einer abendlichen Tour durch Düsseldorf genauso wie beim Walken in der Natur. Gern helfe ich der Inspiration etwas nach und fahre auf eine Fotosession in den Osten. Dort gibt es noch viele Lost Places wie Sanatorien und verlassene Psychiatrien. Mit der Kamera fange ich Details ein, die zeitliche Veränderungen oder vielfach auch menschliche Emotionen dokumentieren. Die eigentliche Auseinandersetzung mit den Motiven geschieht erst viel später im Skizzenbuch und im Atelier.
Die Kunstwelt wird zunehmend greller, lauter und provokanter, bietet augenscheinlich Abwechslung um jeden Preis: Ist der Effekt das Ziel?
In der zunehmend digitalisierten Welt wird es natürlich immer schwieriger als Künstler auf sich aufmerksam zu machen. Umso wichtiger ist es doch, autark in seiner Mitte zu bleiben und sich nicht von schrillen, provokanten Stilmitteln überwältigen zu lassen. Wenn ich an neuen Bildern arbeite, bin ich komplett in meiner Welt der Emotionen und gedanklich noch lange nicht bei dem Auge des späteren Betrachters. Natürlich freut es mich, wenn dieser das Bild als Einladung empfindet, sich damit auseinanderzusetzen und meine Gefühle nachempfinden kann.
Ihre Ausstellungen greifen Raum an Rhein & Ruhr, fanden jedoch auch schon in Frankreich oder China statt. Gab es kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung und behält man da als Künstlerin die Deutungshoheit?
Ja, natürlich gibt es kulturell bedingte Unterschiede in der Wahrnehmung von Kunst in Ost und West. Wir hatten das enorme Glück, gemeinsam mitX Professor Qi Yang (der Meisterklasse) in den beiden Chinesischen Galerien ausstellen zu dürfen. Für diese Erfahrung und Ausstellungsmöglichkeit
bin ich sehr dankbar.
Zur Frage der unterschiedlichen Wahrnehmung von Kunst ist natürlich die völlig unterschiedliche Farbpsychologie zu beachten. Schwarz steht bei uns etwa für Trauer, im I Ging ist es die Farbe des Himmels. Weiß wird hingegen im Osten oft mit Trauer verbunden: So trägt man weiße Kleidung und Hüte bei der Trauer um die Toten. Rot symbolisiert eine gute Zukunft und Freude (chinesisches Neujahr), während diese Farbe im Westen wiederum Liebe, Vitalität und Leidenschaft signalisiert. Spannend finde ich im Kontext der Rezeption auch die Social-Media-Plattform Instagram, besonders in diesen schwierigen Zeiten: Während Pandemie bedingt viele Ausstellungen wieder abgesagt werden mussten, durfte ich mich dort weiterhin über ein weltweit positives Feedback zu meinen Bildern freuen.
„Letzte Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley“, so beginnt der berühmte Schauerroman Rebecca von Daphne du Maurier. Sind die verlassenen Orte auf Ihren Bildern manchmal auch verwunschene Orte?
Unbedingt! Gerade die verwunschenen Orte haben ihre ganz besondere Energie. Es ist schon beeindruckend, sich etwa in einer alten Psychiatrie Landesanstalt Neustrelitz- Strelitz im Osten wiederzufinden, in der schon Hans Fallada drei Monate seines Lebens zubringen musste. Nur durch den besonderen Einsatz des Direktors konnte er die Klinik wieder verlassen. Kleine Hintergrundgeschichten wie diese sind Inspiration pur für meine Bilder.
Die Kunstbranche ist polyphoner und auch unbarmherziger geworden. Ist das der Grund, warum Sie nicht nur bildende Künstlerin, sondern auch Dozentin und Kunsttherapeutin sind?
Ich bin verschiedentlich darauf angesprochen worden, meine speziellen Techniken an interessierte Menschen aller Altersgruppen weiterzugeben.
Aktuell liegt mir eine Anfrage zum Kunstunterricht für ein Bildungsprojekt vor, das jungen Erwachsenen die Möglichkeit bietet, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Das Projekt will ich gern unterstützen und den Nachwuchs ermutigen, selbst kreativ zu sein: aktiv zu werden, statt sich nur digital berieseln zu lassen! Wie im wirklichen Leben ist Malerei ja auch immer mit Entscheidungen verbunden. Ich muss ständig neu entscheiden, wie ich weitermache und wann das Gesamtbild stimmig ist.
Künstlerportrait & Interview: Claudia Roosen
Weitere Infos und Werke von Susanne Bons finden Sie jetzt in der Online-Galerie „eXtrawerke“: https://extrawerke.de/susanne-bons/