Schorsch
Seit über 40 Jahren einer der bekanntesten und beliebtesten Bartender Bottrops. Eine Spurensuche.
Alle kennen Schorsch. Zumindest wenn ich in meinem recht großen Bekanntenkreis nachfrage, hier saßen im Laufe von vier Jahrzehnten wohl alle schon einmal an seiner Theke. Ich schreite in Gedanken durch den Nebel der Erinnerung und folge der Frage, wann mir Schorsch das erste Mal begegnet ist? Meine neuronale Zeitmaschine schleppt mich ins Jahr 1983. Wir befinden uns in einer Bottroper Diskothek an der unteren Hochstraße namens „La Trevi“, benannt nach dem Trevi-Brunnen in Rom. Der Laden gehörte damals dem Architekten Gunter Morscheck und war eine Zeitlang der Treffpunkt für die Schönen der Nacht ;-)
Hier sah ich Georg Louven, den alle nur Schorsch nennen, vor vierzig Jahren zum ersten Mal. Rückblickend würde ich sagen, dass mich der junge Schorsch damals an die Figur des Brian Flanagan aus dem Film „Cocktail“ (1988) mit Tom Cruise in der Hauptrolle erinnerte. Schorsch wirbelte den Cocktail-Shaker zwar nicht so akrobatisch wie Brian Flanagan durch die Luft, aber er kam bei den Gästen ebenso gut an.
Der gelernte Schreiner hatte für jeden Gast stets den richtigen Spruch auf den Lippen. Besonders die Damen hatten eine Schwäche für den attraktiven Bartender und schoben ihm häufig ihre Telefonnummern zu. Die Gastronomie war und ist Georg Louvens Welt und die Theke sein Spielfeld.
Ein paar Jahre später war die Zeit der Diskotheken vorbei. Die Techno-Welle rollte auf uns zu und im Ruhrgebiet öffneten die ersten Clubs. Das „La Trevi“ war Geschichte. Schorsch wechselte zum neuen Bottroper Szenetreff, der Gaststätte „An den Stadtteichen“, ebenfalls vom Architekten Gunter Morscheck betrieben. Hier blieb Schorsch bis zur Einberufung.
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Zwischenzeitlich kaufte Gunter Morscheck die alte Vietor’sche Mühle (1821) von der Stadt, restaurierte das baufällige Gemäuer mit viel Aufwand und eröffnete hier Ende 1989 eine neue Gastronomie: „Die Mühle“. In den 1990er Jahren war die „Mühle“ der Szenetreff in Bottrop und zählt auch heute noch zu den schönsten Lokalitäten in der Stadt und kann für Events gemietet werden. Auch ich war hier ein Jahrzehnt lang Stammgast.
Georg Louven betrat 1991 die Arena in der „Mühle“, nach dem Ende seiner Wehrdienstzeit. Und eine Art Arena war’s tatsächlich. Das runde, zentrierte Thekenkonzept der Mühle war genial, perfekt zum Flirten und zum nonverbalen Kommunizieren. Und im Zentrum der Arena und der allabendlichen Inszenierung stand nun Schorsch, der hier Michael Hüttermann (Miller) ablöste, der das Mühlenteam 1991 verließ.
Immer wenn ich an die „Mühle“ denke, kommt mir der Song „Junimond“ von Rio Reiser in den Sinn. Als Rio am 20. August 1996 verstarb, wurde sein Lied „Es ist vorbei, bye bye, Junimond …“ zur inoffiziellen Hymne der Gaststätte Mühle. Schorsch und das gesamte Serviceteam traten damals mit diesem Song beim Bottroper Stadtfest auf.
Die 1990er Jahren waren ein unglaubliches, energiegeladenes Jahrzehnt. Die Kreativität kannte keine Grenzen mehr. Das Internet trat seinen Siegeszug an. Handys veränderten unser Sozialverhalten gravierend. Und an allen Ecken schossen Start-ups aus dem Boden. In diesem pulsierenden Jahrzehnt avancierte Schorsch zum allabendlichen Fixstern in der „Mühle“. Die gute Seele des Lokals, wie heute noch viele meinen.
Im Jahr 2000 verließ Schorsch die Mühle, und die Goldgräberstimmung der 1990er Jahre verabschiedete sich mit einem Börsencrash. Die New-Media-Blase platzte mit einem lauten Knall. Die fetten Jahre waren vorbei, auch für die Mühle. Derweil musste Schorsch feststellen, dass Fixsterne immer auch Beute für schwarze Löcher sind. Das Leben auf der Überholspur hat seinen Preis. Und den sollte Schorsch nun zahlen.
Es folgte ein langer Kampf gegen den inneren Dämon. So manche Runde ging verloren. Doch als der Ringrichter des Lebens schon dabei war ihn auszuzählen, geschah das Wunder. Schorsch stand auf und schlug seinen Gegner, den Dämon der Sucht, mit einem Trommelfeuer von Uppercuts zu Boden. „Wer andere besiegt, hat Muskelkraft. Wer sich selbst besiegt, ist stark“, schrieb schon Laotse. Und Schorsch war stark. Eine Stärke, für die ihn heute viele bewundern.
Nach einem Intermezzo im „Bahnhof Nord“ übernahm Schorsch 2011 schließlich das „Stadt-Café“, eine Traditionseckkneipe, die 1919 von der Familie Jackelen eröffnet wurde. Die Kneipe wurde schnell zum beliebten Treffpunkt. Alle wollten wieder bei Schorsch an der Theke sitzen. Viele ehemalige Stammgäste der Mühle gaben sich ein Stelldichein. Beliebte Facebook-Gruppen hielten hier ihre Treffen ab. Es lief gut. Doch dann kam Corona. Aber Schorsch hat durchgehalten, wie viele andere Kneipiers auch. Nach dem Ende der Pandemie hat sich das „Stadt-Café“ langsam erholt und ist heute wieder ein fester Meilenstein auf der Gastromeile.
Ich weiß nicht, ob Schorsch tatsächlich Bottrops bester Bartender ist, aber für mich ist er zumindest einer der schnellsten und aufmerksamsten Zapfer. Kaum hat man als Stammgast Platz genommen, steht auch schon das Getränk vor einem. Kaum hat man ausgetrunken, bekommt man direkt ein frisches Bier serviert, ohne Bestellung, perfekt gekühlt und exzellent gezapft. Am Ende unserer Spurensuche lassen wir kurz Schorsch selbst zu Wort kommen: „Ich freu’ mich auf Euch. Bier ist kalt und der Knobelbecher heiß.“
Einen sehr schönen Artikel über die Gaststätte „Mühle“ finden Sie hier: https://wat-gibbet.de/muehle-bottrop/
Text. Udo Schucker
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