Lesedauer: 7 Minuten

Polyneuropathie

Ein Erfahrungsbericht der unterhaltsamen Art

Füße. Polyneuropathie Bottrop.

„Ich merk nix!“
„Und jetzt?“, fragte meine Ärztin und stach mit ihrer Plastiknadel auf einen weiteren Zeh ein.
„Ich merk nix!“
Habe ich überhaupt jemals etwas gemerkt? Diese selbstkritische Frage fing an, mich zu wurmen, während meine Ärztin weiter auf meine Zehen einstach. Ich schwächte das Wurmen, indem ich die Antwort relativierte: Naja, die gesamte Menschheit merkt nichts mehr. Alle sind im letzten Jahrhundert hängengeblieben und haben gar nicht gemerkt, dass die Evolution längst die Spur gewechselt hat.

„Schmerzen haben Sie keine?“
„Nö, die Füße kribbeln nur ein wenig und die Zehen sind taub. Kann sie aber gezielt bewegen. War vor ein paar Wochen noch in der Kulturkirche tanzen. Konnte sogar ohne Probleme Pirouetten drehen.“
„Wie lange haben Sie die Beschwerden schon?“
„Seit einem Jahr – auf konstantem Level.“
„Polyneuropathie, vermute ich. Das sollte sich ein Neurologe ansehen“, diagnostizierte meine Ärztin und stellte mir eine Überweisung aus.

Was ist Polyneuropathie?

„Da krisse anne Nerven“, hat meine Oma oft gesagt. Polyneuropathie ist eine Erkrankung, bei der mehrere periphere Nerven – also Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark – gleichzeitig geschädigt sind. Dadurch ist die Reizweiterleitung gestört, was zu Symptomen wie Missempfindungen (z.B. Kribbeln, Brennen), Taubheitsgefühlen, Schmerzen, Muskelschwäche oder Koordinationsproblemen führt. Polyneuropathie ist meist eine Folge anderer Erkrankungen und betrifft oft zuerst die Nerven in Füßen und Händen.

VALEARA Bottrop – Medizinisches Versorgungszentrum für Neurologie

Mit meiner Überweisung in der Hand fühlte ich mich wie ein Schatzsucher – das Ziel: das Medizinische Versorgungszentrum für Neurologie, kurz MVZ. Nur ein paar Meter von meiner Hausarztpraxis entfernt, lag der Eingang gut versteckt an der Hochstraße 37a, dort, wo früher die Theaterkasse war – und gleich neben der ehemaligen Stadtbücherei.

Kaum betrete ich das Zentrum, trifft mich fast der Schlag: Im weitläufigen Foyer herrscht reges Treiben – ich komme mir vor wie am Flughafen zur Ferienzeit. Überall stehen oder sitzen Menschen, einige mit dem Blick eines Vielfliegers, der schon zu viele Verspätungen erlebt hat.

Vor dem Schalter direkt am Eingang staut sich eine Menschenschlange, die locker mit der Warteschlange am Check-in konkurrieren könnte. Rund 30 Personen warten auf ihre „Abfertigung“.

Plötzlich erhebt sich eine der beiden Mitarbeiterinnen hinter dem Schalter – mit der Autorität eines Fluglotsen und der Stimme eines Marktschreiers: „Bitte hier nicht mehr anstellen! Hinten ist auch noch eine Anmeldung, gehen Sie bitte durch!“

Ich überlege kurz, ob ich nach meinem Gate fragen soll, entscheide mich dann aber, einfach den Strom der Menschen zu verfolgen. Wer weiß, vielleicht gibt es am Ende sogar einen Boarding Pass für die Neurologie.

Nach einer halben Stunde, drei neuen Bekanntschaften und zwei innerlichen Runden „Mensch ärgere dich nicht“ bin ich endlich an der Reihe.

Als ich gerade mein Anliegen vortragen will, steht die Mitarbeiterin plötzlich auf und verschwindet – ohne ein Wort. Ich fühle mich abgehängt und spüre den Zorn Gottes in mir aufsteigen. „Da krisse anne Nerven“, höre ich Omas weise Worte in meinem Kopf. Die Mitarbeiterin einen Platz weiter legt gerade den Hörer auf, sieht die Zornesfalte auf meiner Stirn und greift deeskalierend ein, indem sie mir einen Arzttermin in frühestens zehn Wochen anbietet.

Zehn Wochen später

Nach nur 30 Minuten Wartezeit wird mein Name aufgerufen – bei der Geräuschkulisse im Wartebereich grenzt es an ein Wunder, dass ich das überhaupt mitbekomme. Der Arzt ist freundlich und macht einen kompetenten Eindruck. Nach einer kurzen Untersuchung teilt er mir mit, dass weitere Tests nötig sind: eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und ein Vitamin-B12-Check. Auf die Messung darf ich erneut zwei Monate warten, auf den Vitamintest immerhin nur drei Wochen. Den muss ich allerdings selbst bezahlen.

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Hinweis: Da Sie den Vitamintest sowieso bezahlen müssen, können Sie diesen ggf. auch in der Markt-Apotheke machen, ohne Termin, mit dem CaboCheck dauert es nur 2 Minuten. Sie ersparen sich die nervige Wartezeit und den Arztbesuch. Mehr dazu …

Weitere zwei Monate später – Messung der Nervenleitgeschwindigkeit

Am nächsten Tag sollte es endlich so weit sein: Meine Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) stand zur Messung an. Doch dann schrillte das Telefon – und mit ihm meine Hoffnung. Am Apparat eine ausgesprochen freundliche Mitarbeiterin des Medizinischen Versorgungszentrums: Leider sei eine Kollegin ausgefallen, mein Termin müsse abgesagt werden. Einen neuen Termin? Den gäbe es frühestens in sechs Monaten.

Schock – Willkommen im kafkaesken Gesundheitssystem

Ich war so perplex, dass ich einfach allem zustimmte. Ich fühlte mich wie der Held in einer Kafka-Geschichte: gefangen im Labyrinth des Gesundheitssystems, aus dem es kein Entrinnen gibt. Mit etwas Glück, dachte ich, würde meine Therapie vielleicht ein Jahr nach der ersten Untersuchung bei meiner Hausärztin beginnen. Klar, in einem Land wie den USA, wo das Gesundheitssystem manchmal Dritte-Welt-Niveau erreicht, mag das normal sein – aber in Deutschland? Da bleibt einem wirklich nur noch Galgenhumor. Oder gleich der Strick.

Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss

Später traf ich meinen Kumpel Reimbern in der Weinbar auf der Gastromeile. Er saß dort wie immer mit seinem Chihuahua, Sir Henry, der auf seinem Schoß thronte und die Szene aufmerksam beobachtete.

Ich erzählte Reimbern von meinem neuesten Abenteuer im MVZ. Er hörte zu, verzog keine Miene und antwortete dann gewohnt lakonisch: „Ich geh’ ja nur noch zum Tierarzt. Da bekommt man sofort einen Termin und obendrein ganz viel Empathie.“

Sir Henry quittierte diese Aussage mit einem doppelt überzeugten „Wauwau“.

„Bekommen Hunde denn auch Polyneuropathie?“, fragte ich.
„Sind auch nur Säugetiere wie wir“, meinte Reimbern trocken.

„Na, vielleicht komm ich mal mit. So eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit ist ja nicht allzu aufwendig.“
Reimbern grinste lüstern: „Wir verpassen dir einen Stromschlag an den Füßen und messen die Zeit bis zum Aufschrei. Je länger es dauert, desto kaputter sind deine Nerven.“

Sir Henry setzte noch ein dreifaches „Wauwau“ obendrauf – offenbar war er mit dem Vorschlag einverstanden. Reimbern kennt sich mit Stromschlägen aus – er hat schließlich mal Elektrotechnik studiert.

Podologie

Das mit den Stromschlägen habe ich dann doch gelassen und stattdessen meine KI gebeten, mir eine Therapie zusammenzustellen, bis es im MVZ weitergeht. Meine Hausärztin hatte mir immerhin eine Überweisung zum Podologen ausgestellt. Doch einen Termin zu bekommen, erwies sich ebenfalls als recht schwierig: Einige nahmen keine neuen Patienten mehr an, andere hatten Wartezeiten von etlichen Wochen oder gar Monaten. Also habe ich wieder meine KI gefragt, und die hat mir das „Podologie Duo“ in der Blumenstraße 4 vorgeschlagen. Die Wartezeit betrug hier nur zwei Wochen und das Team ist top – klare Empfehlung!

Selbsthilfegruppe Polyneuropathie

Es gibt in Bottrop auch eine Selbsthilfegruppe. Die Gruppe wurde Anfang 2012 von Menschen mit Polyneuropathie gegründet. Sie steht allen offen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Glauben.

Das Hauptanliegen der Gemeinschaft ist es, sich über die Erkrankung zu informieren und Erfahrungen auszutauschen. Zu diesem Zweck pflegen die Mitglieder den Austausch mit Ärztinnen und Ärzten, Fachleuten aus der Alternativmedizin, Therapeutinnen und Therapeuten, Sanitätshäusern, Politikerinnen und Politikern sowie anderen Betroffenen und deren Angehörigen.

Die Gruppe trifft sich jeden 1. Donnerstag im Monat von 16.00 bis 18.00 im Haus der Vielfalt, Versammlungsraum 2.OG, Gerichtsstr. 3, 46236 Bottrop. Weitere Infos dazu: PDF herunterladen.

Udo Schucker

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