Lieben Sie Brahms?

Pianist Georg Kjurdian spielte im Hinterhof der Galerie Roohnikan

Während anderorts in Bottrop die Kultur eher den Bach heruntergeht, wurde am Samstag, dem 9. Juli, im Hinterhof der Galerie Roohnikan Bach gespielt. Die Besucher*innen des ausverkauften Klavierkonzertes mit dem preisgekrönten Pianisten Georg Kjurdian erlebten einen wundervollen Sommerabend in einer zauberhaften Umgebung und den Auftakt einer neuen Konzertreihe.

Als ich kurz vor 18 Uhr den schmalen, unauffälligen Eingang zur Galerie an der Kirchhellener Str. 7 erreiche, habe ich im ersten Moment das Gefühl, an einem konspirativen Treffen teilzunehmen.

Am Eingang werden alle Besucher direkt vom Impresario und Kultur-Event-Manager Dirk Helmke begrüßt. Bottrops wohl bekanntester Kulturaktivist hat diesen tollen Abend mit den Mitgliedern vom Förderverein KONJUNGTUR e. V. organisiert. Schnell ein Foto.

Ich schreite weiter durch den schlauchartigen Geschäftsraum der Galerie & Bilderahmen-Manufaktur Roohnikan, der mich direkt in den Hinterhof führt. Hier spüre ich sofort die besondere Atmosphäre des von roten Backsteinen ummauerten Innenhofs. Der Raum wird von verwitterten, kannelierten Säulen geteilt, die romanisch anmutende Bögen tragen. Dieser Ort könnte sich auch in Greenwich Village, Brüssel oder Amsterdam befinden. Hier habe ich in meiner Jugend häufiger Konzerte in Hinterhöfen erlebt.

Alle Sitzplätze sind belegt. Die Stimmung ist irgendwie familiär. Das „wohltemperierte“ Klavier auf der „Bühne“ erinnert mich in der ersten Wahrnehmung eher an das Piano aus Kittys Saloon in „Westworld“. Ich muss an Truffauts legendären Film mit Charles Aznavour denken: „Schießen Sie auf den Pianisten.“ Was hatte ich erwartet? Einen Steinway-Flügel oder einen Bechstein? Ich bin gespannt.

Aus der Werkstatt werden weitere Stühle organisiert. Getränke werden serviert. Der Wein mundet. Ich finde schließlich einen Platz zwei Meter vom Pianisten entfernt, im Visier des Publikums. Eigentlich sitze ich ja lieber unauffällig in der hinteren Reihe, okay, Contenance!

Konzertpianist Georg Kjurdian

Applaus! Der Künstler erscheint: Georg Kjurdian ist 1994 in Riga geboren und hat 2012 das Emīls-Dārziņš-Musikgymnasium absolviert, wo er nicht nur Klavier-, sondern auch Kompositionsunterricht erhielt. Im Sommer 2016 hat er den Bachelor an der Robert Schumann Hochschule bekommen und anschließend an der Folkwang Universität der Künste in der Klasse von Prof. Hisako Kawamura studiert.

Nach einer kurzen Einleitung und der Beantwortung von ein paar Fragen geht’s los mit dem ersten Teil des wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach: Präludium und Fuge C-Dur.

Wow, die hohen Ziegelsteinwände des Innenhofes reflektieren die Schallwellen wirklich hervorragend, verstärken sie geradezu. Und plötzlich weiß ich, auf welcher Grundlage die Titelmelodie der bekannten Fernsehserie „Westworld“ komponiert wurde.

Nach weiteren Fugen folgt eine kurze Pause. Getränke werden aufgefrischt, man kommt ins Plaudern. Alle sind von der Atmo sehr angetan.

Im zweiten Teil spielt Georg Kjurdian einige Stücke von Johannes Brahms. Mein Gehirn projiziert dazu Bilder aus dem  Film „Lieben Sie Brahms?“ von 1961, nach dem Roman von Françoise Sagan mit Ingrid Bergman, Anthony Perkins und Yves Montand in den Hauptrollen. Tosender Beifall. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Kurze Pause.

Im dritten Teil geht’s dann mit Richard Wagner weiter. Ich mag den Menschen Wagner nicht. Der Konzertpianist Georg Kjurdian auch nicht, erklärt er dem Publikum. Aber Wagners Musik kann man sich nur schwer entziehen. Wie wahr. Und so merke ich schon nach wenigen Minuten, wie Wagners „mollige“ Töne meine Emotionen rühren. Contenance! Frenetischer Beifall. Nein, nicht für meine Haltung, natürlich für den Künstler Georg Kjurdian, für die tolle Organisation und für einen sehr gelungenen Auftakt einer neuen Kulturreihe in der Galerie Roohnikan. Klasse!

Text & Fotos: Udo Schucker