Stardust Memories

Eine etwas andere Bottroper Karstadt-Geschichte

Es war einmal in einer kleinen Großstadt am Rande des nördlichen Ruhrgebiets ein Warenhaus namens Althoff. Hier arbeiteten zeitweise fast 400 Menschen. Das Warenhaus bot in den 1950er Jahren eine echte Sensation, die erste Lebensmittelabteilung in einem deutschen Kaufhaus, die im Selbstbedienungs-System funktionierte. 1963 wurde die 1892 in Bottrop eröffnete Althoff-Filiale dann in Karstadt umbenannt, wie alle unter „Althoff“ firmierenden Häuser.

Nieten in Nadelstreifen

Das Warenhaus war seit den 1920er Jahren das Herz der Stadt und die Menschen liebten es. Alles hätte so schön sein können, doch dann fielen ein paar Jahrzehnte später gierige Egomanen über die Warenhauskette her, die sich Manager nannten. „Nieten in Nadelstreifen“ nannte sie der Autor Günter Ogger in seinem gleichnamigen Buch. Und diese „Nieten“ trafen eine dumme Entscheidung nach der anderen. Sie interessierten sich nur für ihren persönlichen Profit, verpennten die Digitalisierung und hörten nicht auf die Angestellten, die schon frühzeitig darauf hinweisen, dass man die Produktpalette an die Nachfrage vor Ort anpassen müsse.

Ein gigantisches Einkaufszentrum mit kostenlosen Parkplätzen und nur 5 Autominuten entfernt war da auch nicht gerade hilfreich. Es kam, wie es kommen musste, im März 2016 wurden mehrere Karstadt-Filialen geschlossen, darunter auch die in Bottrop. Das Herz der Bottroper City hörte auf zu schlagen. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine 124-jährige Kaufhausgeschichte mit ihrem vielen kleinen Geschichten.

2023 – dunkle Schatten

Ich stehe vor der verrottenden Karstadt-Fassade, die auf mich zunehmend bedrohlicher wirkt. Der Schatten, den sie auf die umliegenden Geschäfte wirft, wird dunkler und länger. In dieser expandierenden Dunkelheit kann nichts mehr gedeihen, können keine Umsatzzahlen mehr wachsen. Ich blicke in diesen ausgehöhlten Konsumtempel und meine Augen bleiben leer. Das war nicht immer so.

Das Haus der Träume

Karstadt war nicht nur einfach ein Warenhaus, es war ein Lebensraum. Karstadt war der Fixstern, um den sich der Einzelhandel in der City bewegte. Man traf sich im Karstadt-Restaurant, flanierte durch die einzelnen Abteilungen, kannte viele Verkäuferinnen mit Namen und ließ sein Fahrrad in der Karstadt-Fahrradwerkstatt reparieren oder hockte in der Plattenabteilung und hörte Musik. Wer z. B. vom Mensingplatz zur Hochstraße wollte, der ging durch Karstadt. Und wer keine Lust hatte, seine Einkäufe selber nach Hause zu tragen, der ließ sie einfach liefern. Ja, Karstadt-Bottrop hatte eine eigene Versandabteilung.

Für uns als Kinder aus der Arbeiterklasse war Karstadt in den 1960er Jahren auch das Haus der Träume. Wir liebten es, hier Verstecken zu spielen, unter den zahlreichen Kleiderständern entlang zu kriechen oder verbotene Türen zu öffnen und Gänge zu erkunden. Und dann der Glanz in unseren Augen, wenn wir die Spielzeugabteilung durchstreiften.

Einmal sollte jeder in unserer Kinderbande eine Mutprobe bestehen und bei Karstadt etwas klauen. Gruppenzwang – sehr widerstrebend bewies ich Nerven und ließ seelenruhig in der Spielzeugabteilung ein Matchbox-Auto in meine Anorak-Tasche gleiten. Mutprobe bestanden.
Doch nachdem ich mein Diebesgut den anderen Kindern präsentiert hatte, bekam ich plötzlich heftige Gewissenbisse. Ich wollte einfach kein Ladendieb sein. Ohne es den anderen zu erzählen, brachte ich das Matchbox-Auto wieder zurück und wäre dabei fast erwischt worden. Bei einer anderen Aktion wurde ich erwischt.

Bottrops erstes Happening

Kurz vor Weihnachten. Der Winter ließ auf sich warten und wir Kinder sehnten uns nach Schnee. Und ich hatte da mal wieder eine Idee. Karstadt hatte damals noch eine Art Atrium, einen offenen Innenbereich mit Glasdach. Man konnte sich auf jeder Etage an die Brüstung stellen und auf die untere Verkaufsfläche blicken, aber eben nicht nur blicken.

Der Plan: Wir zerreißen etliche Zeitungen zu Konfetti, packen die Schnipsel dann in Karstadt-Tüten und schütteln diese von der obersten Etage auf die untere Verkaufsfläche. Dazu singen wir dann „Leise rieselt der Schnee“. Gesagt, getan! Es war eine herrliche Aktion. Während meine beiden Kumpels sofort die Flucht ergriffen, konnte ich mich nicht vom Anblick unseres Werks lösen.

Ich wurde erwischt und musste zum Geschäftsführer. Der Mann entpuppte sich als humorvoll. Nachdem ich ihm unsere Intention erklärt hatte, meinte er nur: „Ihr wisst es noch nicht, aber ihr seid wohl die ersten, die in Bottrop ein Happening veranstaltet haben.“ An die genauen Worte kann ich mich nicht mehr erinnern. Konsequenz: Ich musste lediglich die Papierschnipsel auffegen, was meinem neunjährigen Ich irgendwie peinlich war, meine Kumpels hielten mich schließlich für einen harten Burschen. Na ja, Image ist alles ;-)

Semesterferien auf dem Dach von Karstadt

Einige Jahre später, während meiner Studentenzeit, habe ich oft bei Karstadt gejobbt und im Laufe des Studiums in vielen Abteilungen gearbeitet: Sport, Schreibwaren, Deko, Lager, Versand, Heimwerker, Hausinspektion oder Pforte. Die Campingabteilung auf dem Dach musste ich mal drei Monate fast alleine betreuen, da ein Kollege erkrankt war. Zelte aufbauen, Gartenmöbel montieren oder beim Schlafsackkauf beraten. Es hat Spaß gemacht. Und da ein Großteil der Campingabteilung auf dem Dach von Karstadt im Freien lag, kam ich sogar braungebrannt aus den Semesterferien zurück.

DJane Nicole Simon

Den größten Fun hatte ich allerdings, als ich in der Weihnachtszeit, so Ende der 80er, in der Plattenabteilung von Nicole Simon aushelfen durfte. DJane Nicole war ja schon damals der Hit in der Musikabteilung. Die Kunden summten ihr was vor und Nicole wusste sofort, was sie suchten. Der Laden brummte und Nicole und ich haben die Abteilung für ein paar Wochen richtig gerockt. Es gab sogar eine Beschwerde, weil wir zeitweise die Musik zu laut abgespielt haben.

Ach, was soll ich Ihnen sagen, ich hatte Karstadt und die Menschen, die dort arbeiteten, wirklich ins Herz geschlossen. Und ich sehe sie noch alle vor mir, die Lebenden und die Toten. Es war eine wirklich schöne Zeit. Und diese Zeilen heute, sie sind für euch. Danke.

Nun stehe ich hier, vor diesem leeren Monument einer vergangenen Ära wirtschaftlicher Blüte und spüre mit jedem Atemzug die Agonie dieser Stadt. In meinem Kopf verhallen all die neunmalklugen Vorschläge für die Reanimation der City, die durch die Medien rasseln. Wohlwissend, dass das alles nichts wird, wenn die Verantwortlichen ihre Denkweise nicht radikal von jeglichen Konventionen befreien. Aber dies wird sicher nicht passieren. Was bleibt, ist die Hoffnung auf künstliche Intelligenz und die Erinnerung.

Though I dream in vain
In my heart, it will remain
My stardust memory

(Nat King Cole)

Udo Schucker

Dank an Beatrix Schweizer für die tollen Fotos aus dem Archiv ihres Vaters.