Ein Licht für den Bottroper Einzelhandel

Absurdes Theater mit Estragon und Vladimir.

ESTRAGON und VLADIMIR, die bekanntesten Protagnisten des absurden Theaters, sitzen auf einer Bank am Mensingplatz und warten wie immer auf Godot.

LAUB weht durch die Szene, begleitet von einem WINDGERÄUSCH

ESTRAGON fängt ein Blatt und zerbröselt es in seiner Hand. VLADIMIR liest konzentriert die WAZ.

ESTRAGON (resigniert)
Der Winter kommt.

VLADIMIR (weiter in die Zeitung blickend)
Siehst schon die weißen Wanderer?

ESTRAGON
Nein, nicht „Game of Thrones“. Der Winter eben. Es wird kalt.

VLADIMIR
Aber du spürst doch nix, bist eine literarische Figur, musst dir um den Gaspreis keine Sorgen machen. Nur wenn der Autor will, dass du frierst, frierst du. Aber der will nicht.

ESTRAGON
Wieso?

VLADIMIR
Weil der auch nix mehr spürt.

ESTRAGON
Ach so.

VLADIMIR
Hier in der Watz steht, die Stadt hat den „Heimatshoppern“ das Licht abgedreht. Stattdessen gibt’s jetzt eine große Werbekampagne mit Minipostern, die Kaufkraft in die Stadt locken soll. Jetzt guck sich einer dieses Foto mit den Einzelhändlern an.

ESTRAGON (schaut in die Zeitung)
Sehen irgendwie bedröppelt aus, mit den hochgehaltenen Handzetteln. Ist das ein Spendenaufruf für die Dritte Welt?

VLADIMIR
Nein, für die letzte Kaufkraft. Die DIN-A3-Handzettel sollen dann in den Geschäften hängen, wo sie sowieso keiner sieht. „Ihr Experte vor Ort. Immer gut beraten.“

ESTRAGON
Da hat aber jemand Werbeschrott aus den 80er Jahren recycelt. Mussten die dafür etwa bezahlen?

VLADIMIR
Bestimmt!

ESTRAGON
In anderen Städten bleibt der Lichtzauber aber an. Wurde nur auf LED umgestellt und zeitlich begrenzt.

VLADIMIR
Bottrop ist eben die Stadt der Schwarzseher.

ESTRAGON
Ich glaub, das darf man so nicht mehr sagen.

VLADIMIR
Was?

ESTRAGON
Schwarzseher. Das heißt jetzt Menschen mit negativer, futuristischer Sichtweise. Alle Wortgefüge mit verdeckt agierenden, imperialistischen Konnotationen werden demnächst eliminiert.

VLADIMIR
Wo haste das denn gelesen? – Und dann?

ESTRAGON
Dann sind wir alle sprachlos.

EINE FRAU mit einer KARSTADT-Einkaufstüte geht vorbei. ESTRAGON und VLADIMIR blicken ihr erstaunt hinterher.

VLADIMIR
Eine Kundin!

ESTRAGON
Die hat eine KARSTADT-Tüte. Karstadt ist seit Jahren dicht. Das ist ein Trick.

VLADIMIR
Meinst du?

ESTRAGON
Klar. Unser Autor hat die Kundin bestimmt aus den 1990er Jahren geklaut und schnell in die aktuelle Szene geschrieben.

VLADIMIR
Hey, wir lassen uns nicht verarschen!

ESTRAGON
Da! Weg isse! Sach ich doch! Wir brauchen echte Kaufkraft und keine Hirngespinste.

VLADIMIR
Na, ja, einige Einzelhändler könnten ihren Umsatz leicht um 10 bis 20 Prozent steigern, mit dem richtigen Online-Marketingkonzept. Aber ich fürchte, dafür sind die meisten zu bequem oder werden einfach schlecht beraten.

ESTRAGON
Oder haben einfach keinen Etat. Und dann noch die Krise.

VLADIMIR
Für jedes Budget gibt’s eine passende Idee.

ESTRAGON
Wie meinst du das?

VLADIMIR
Na, ja, ein Beispiel. Grob gedacht: Eine Änderungsschneiderei übernimmt zusätzlich auch die Annahme von Paketen aus dem Bekleidungssektor. Die Kunden können dann direkt vor Ort die bestellten Klamotten anprobieren und ggf. dort sofort ändern lassen. Mit dem richtigen Guerilla-Marketingkonzept könnte der Schneider so ein Umsatzplus von vielleicht 30 Prozent erzielen. Unnötige Retouren würden reduziert werden. Könnte mir vorstellen, dass bestimmte Bekleidungshäuser das Konzept sogar finanziell unterstützen. Alle gewinnen, auch die Umwelt.

ESTRAGON
So, wie du das sagst ­– einleuchtend.

VLADIMIR
Apropos Leuchten. Es soll eventuell noch ein Marketing-Lichtevent mit Kerzen geben. Für alle Geschäfte, die nicht mehr sind.

ESTRAGON
Allerheiligen, auf dem Parkfriedhof?

VLADIMIR
Keine Ahnung.

ESTRAGON
Aber der neue Klotz am Quadrat ist schön. Mit den ganzen Quadraten.

VLADIMIR
Der Stadtgarten ist schön.

ESTRAGON
Das Quadrat ist schön.

VLADIMIR
Komm, wir gehen ins Museum, da is‘ schön.