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Der Reigen*

Das Kandidatenkarussell. Absurdes Theater mit VLADIMIR und ESTRAGON

VLADIMIR und ESTRAGON sitzen am Rathausplatz auf ihrer Lieblingsbank und warten wie immer auf Godot. Der Platz ist menschenleer. Die Sonne brennt. Der Brunnen plätschert. VLADIMIR liest in der WAZ. ESTRAGON spielt auf seiner Mundharmonika „Das Lied vom Tod“.

Sozialdezernentin ALEXIUS-EIFERT kommt aus dem Rathaus und stöckelt mit ihren High Heels über den Rathausplatz. Sie schaut zu ESTRAGON und schenkt ihm ein Lächeln. Er hört auf, Mundharmonika zu spielen.

ESTRAGON (schubst VLADIMIR an)
Schau mal, diese Eleganz.

VLADIMIR (lugt über den Rand seiner Zeitung)
„Manolo Blahnik“, würde ich sagen.

ESTRAGON
Eher „Louboutin“ oder vielleicht „Aquazzura“?

VLADIMIR
Hast du gewusst, dass sich die Zahl der in Notaufnahmen behandelten Verletzungen durch High Heels in einem Zeitraum von zehn Jahren von knapp über 7.000 auf 14.000 verdoppelt hat?

ESTRAGON
Tragen ja auch immer mehr Männer High Heels.

VLADIMIR (der Sozialdezernentin nachblickend)
Definitiv Rossi, Sergio, nicht Gianvito.

ESTRAGON
Und was steht in der Watz?

VLADIMIR (in die Zeitung blickend)
Ein Bottroper fuhr mit seinem Auto in Ostfriesland Schlangenlinien.

ESTRAGON
Und sonst?

VLADIMIR (in die Zeitung blickend)
BOTTcast-Boy Piet Metzen verrät im Interview, dass er sich verändert hat.

ESTRAGON
Trägt der jetzt auch „Louboutin“?

VLADIMIR (in die Zeitung blickend)
Wohl eher „Stuart Weitzman“.

ESTRAGON (seufzt)
Und sonst nix?

VLADIMIR (in die Zeitung blickend)
Das Modehaus „Sinn“ hat endlich die Sinnlosigkeit einer Existenz in Bottrop erkannt und Insolvenz angemeldet.

ESTRAGON
Gibt es ein Leben nach dem Tod in Bottrop?

VLADIMIR (blickt auf)
Der Oberbürgermeister ist da guter Dinge. Apropos OB, der Tischler wird nächstes Jahr nicht mehr kandidieren.

ESTRAGON
Na, das mit Innovation City hat er ja ganz gut hinbekommen. Sogar das Magazin „National Geographic“ schreibt über Bottrop als Vorbild der Energiewende.

VLADIMIR
Nur, bei der Innenstadt-Entwicklung – ein Versagen auf breiter Front.

ESTRAGON
Ich find‘ ihn ja sympathisch.

VLADIMIR
Ja, aber den Bauschutt in der City kann man einfach nicht schönreden.

ESTRAGON
Weiß man schon, wer in seine Fußstapfen treten soll?

VLADIMIR
Gerüchte.

ESTRAGON
Vielleicht Piet Metzen, der hat Ambitionen und immerhin bereits auf dem Berliner Platz zu Menschenmassen gesprochen?

VLADIMIR
Wie zuvor Willy Brandt, Gerhard Schröder, Helmut Kohl, Sahra Wagenknecht.

ESTRAGON
Oder Pater Leppich.

VLADIMIR
Ernst Wilczok hielt am 1. Mai 1950 mal eine Rede auf dem Berliner Platz, bei der er mehr als 10.000 Menschen begeistert haben soll.

ESTRAGON
Braucht man da kein Fachwissen?

VLADIMIR
Dafür gibt’s ’ne KI oder die Sponsoren sagen einem, was man machen soll.

ESTRAGON
Muss er dann bei öffentlichen Auftritten als OB immer so ’ne Jacke mit Sponsorenaufklebern tragen?

VLADIMIR
Ohne Sponsoring läuft eben nix mehr. – Es geht ja auch das Gerücht, dass Sozialdezernentin Alexius-Eifert für die OB-Kandidatur aufgebaut werden soll.

ESTRAGON
Könnte was dran sein. Sie taucht ja in letzter Zeit verdächtig oft auf Pressefotos auf.

VLADIMIR
Stimmt. Wirkt auf den Fotos aber immer etwas steif, immer die gleiche Pose.

ESTRAGON
Mit schlaksig herabhängenden Armen.

VLADIMIR
Braucht vielleicht ein Coaching mit Pressesprecherin Jeanette Kuhn. Die hat da ja Erfahrung.

ESTRAGON
Und sie sollte mal was sagen. Vielleicht in ´nem Podcast vom Metzen?

VLADIMIR
Könnte aber auch sein, dass die Partei-Strategen jetzt auf den Kamala-Harris-Effekt setzen?

ESTRAGON
Wie?

VLADIMIR
Na, die schicken zuerst einen jungen, unbekannten Typen, wie z. B. den Buschfeld, als Kandidat an die Wahlkampffront. Und wenn sich alle auf ihn eingeschossen haben, fällt dem Kandidaten ein, dass er seine Work-Life-Balance braucht, seine Kandidatur zurückzieht und außerdem der Meinung ist, dass die Zeit reif für eine Frau an der Rathausspitze ist. Was ja auch stimmt.

ESTRAGON
Ah, verstehe, dann ziehen sie acht Wochen vor der Wahl, quasi als Joker, Sozialdezernentin Alexius-Eifert aus der Tasche!

VLADIMIR
Deren Gesicht kennt bis dahin fast jeder von den zahlreichen Fotos. Die politischen Gegner sind dann so verblüfft und sprachlos, dass sie direkt ins Oberbürgermeisteramt marschiert.

ESTRAGON
Die CDU will ja auch einen Kandidaten ins Rennen schicken.

VLADIMIR
Deren Kandidat is’ nur ’ne Symbolfigur, glaub’ ich, damit sie mitspielen dürfen.

ESTRAGON
Ich finde ’ne Frau an der Spitze gut. Nur der Schravinski von den Korrekten wird da nicht mitspielen.

VLADIMIR
Warum, hat der was gegen Frauen?

ESTRAGON
Das weiß man nicht. Aber er hat ja indirekt schon mit ’nem parteilosen Kandidaten gedroht.

VLADIMIR
Stimmt, der Schravinski hat ja auch so seine Interessen.

ESTRAGON
Ist der Metzen eigentlich in ’ner Partei?

*Der Titel bezieht sich auf das Bühnenstück „Reigen“ von Arthur Schnitzler. Welchen konkreten Bezug es zum Kandidatenkarussell der OB-Wahl im nächsten Jahr hat, wissen wir an dieser Stelle noch nicht genau. Aber wir arbeiten daran. Wer mehr über Arthur Schnitzler wissen möchte, dem empfehlen wir das Buch „Fin de Siècle“: Rätsel, Romantik & Ruin in Schnitzlers Wien, von der in Bottrop geborenen Autorin Dr. Claudia Roosen.

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