Corona Oddity

Stille Tage auf der Isolierstation im Marien-Hospital Bottrop. Ein ironisch, lakonischer COVID-19-Erfahrungsbericht mit Tipps für frisch Infizierte.

Es trifft mich nicht! Denkt man. Geimpft, geboostert und vom Naturell eher auf Abstand bedacht, liegen mir die Corona-AHA-Regeln eigentlich im Blut. Auch das Händeschütteln ist mir ein Gräuel. Ich bevorzuge seit meinem neunten Lebensjahr Mr. Spocks vulkanischen Gruß. Das Maskentragen mag ich genauso wenig wie die meisten Menschen, tue es aber dort, wo erforderlich. Und wenn ich mir die sprudelnde Aussprache so mancher Mitbürger ansehe, na, da würde ich ggf. auch ohne Corona freiwillig eine FFP-2-Maske tragen.
Kennen Sie bestimmt: Da sitzt man mit jemanden an einem Tisch, der ununterbrochen auf dich einredet, laut und feucht. Zuerst bemerkt man die Spritzer auf der Brille, dann hat man plötzlich das Gefühl, zu schwitzen. Doch der Feuchtfilm, der sich da über das Gesicht ausbreitet, ist nicht dein Schweiß …

Kurzum, mein Verhalten forderte eine Infektion nicht unbedingt heraus. Doch dann treffe ich ein paar alte Freundinnen und Freunde. Wir haben uns Jahre nicht gesehen und die Wiedersehensfreude ist entsprechend groß. Ich verliere meine Contenance! Umarmung, Händeschütteln, Bussi hier, Bussi da. Und mit jedem Glas Wein wird unsere Aussprache feuchter. Volltreffer!

Quarantäne!

Zwei Tage später: ein leichtes Kratzen in meinem Hals. Positiver Schnelltest! Ein zweiter Schnelltest verifiziert den ersten. Okay, denke ich, lästig, aber nicht zu ändern. Der Kühlschrank ist voll, fünf Tage Quarantäne sollten kein Problem darstellen. Danach wieder freitesten! Ein Anruf bei meinen Freunden ergibt, dass zwei davon ebenfalls positiv sind und sich schon in Quarantäne begeben haben, leichte Symptome. Alles easy.

Nach vier Tagen wird mir klar, irgendwas läuft falsch. Meine Lunge bellt seit zwei Tagen nonstop wie ein Chihuahua. Mache mir Sorgen, dass ich eine Abmahnung wegen unerlaubter Hundehaltung bekommen könnte. Mein Hals brennt höllisch. 39 Grad Fieber. Blutdruck 186. Puls 96. Blutsauerstoffgehalt bei 93 Prozent, laut meiner Smartwatch. Vielleicht hätte ich doch mal einen Arzt aufsuchen sollen.

Es ist Freitagnachmittag. Ich rufe die Notfallpraxis im Marien Hospital Bottrop an – 106 3102 – und werde auch sofort verbunden. Eine nette Dame erklärt mir, dass ich als Infizierter nicht einfach vorbeikommen könnte. Ich solle doch bitte erst einmal den ärztlichen Bereitschaftsdienst konsultieren. Vielleicht kommt ja jemand ins Haus und checkt die Lage vor Ort. Falls ich dort nicht weiterkomme, solle ich mich noch einmal melden.

Hoffen, dass der Arzt kommt

Ich wähle also die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts: 116117. Beim dritten Versuch eine menschliche Stimme. Meine Daten werden aufgenommen und eine detaillierte Beschreibung meiner Beschwerden. Die Dame am Telefon ist sehr freundlich, kann mir aber nichts versprechen. Der Arzt entscheidet je nach Auslastung und Schwere der Symptome, ob er vorbeikommt oder nicht. Ich bekomme aber auf jeden Fall ein Feedback. Auch eine Art von Triage, denke ich.

Fünf Minuten später meldet sich der Arzt bei mir, um festzustellen, ob ein Hausbesuch nötigt ist. Als er meinen Chihuahua „bellen“ hört, ist alles klar, er sei in zwei Stunden vor Ort. Ich rufe Isadora an, eine gute Freundin, die nur ein paar Türen weiter wohnt und frage, ob sie mir nach dem Arztbesuch ein Rezept in der Apotheke einlösen kann. Kein Problem, sie sei in zwei Stunden vor der meiner Haustür.

Alles wird gut

Während ich auf den Arzt warte, steigt meine Temperatur. Mein Blutdruck stellt einen neuen Höhenrekord auf und mein Blutsauerstoff sinkt auf 90 Prozent. Sehe die Gegenstände im Raum unscharf. Mir schwant, dass ich mit ein paar Medikamenten aus der Sache wohl nicht mehr rauskomme und packe instinktiv eine Tasche mit Utensilien für einen Krankenhausaufenthalt. Das kann nicht Omikron-Subtyp BA.5 sein, was hab ich mir da eingefangen? Vielleicht die allerneuste SARS-CoV-2-Killervariante, die noch keiner kennt und ich bin Patient null.

Blutdruck: 220. Blutsauerstoff: 88 Prozent. Temperatur: 40 Grad Fieber. Isadora steht inzwischen unten vor der Haustür. Ich sage ihr, dass sie die Haustür aufhalten soll, ich habe auch die Wohnungstür geöffnet, falls ich umkippe, muss niemand die Tür aufbrechen. Isadora will nicht länger auf den Arzt warten und gleich den Notruf wählen. Ich bin ja da immer etwas zurückhaltender und sage, sie solle noch 10 Minuten warten, der Arzt sei gleich da.

Dann höre ich plötzlich die Stimme von David Bowie: „Ground Control to Major Tom.“
„Ja, ich bin hier, ich kann dich hören.“
„Take your protein pills and put your helmet on.“
„Welche Pillen, ich hab ja keine Pillen?“

Dann stürmt ein 3er-Team meine Wohnung. Isadora hat glücklicherweise nicht auf mich gehört und direkt 112 angerufen. An dieser Stelle muss ich mich tausendfach für Ihre Hilfe und ihr resolutes Handeln bedanken. Es gibt noch Schutzengel und die wohnen manchmal nur ein paar Türen weiter.
Der Arzt vom Bereitschaftsdienst kam übrigens nur eine Minute später an, er hätte aber auch nur noch 112 rufen können.

Marienhospital Bottrop

Meine Wahrnehmung klärt sich. Ich liege im Isolierraum der Ambulanz. An einem zentralvenösen Zugang hängen mehre Infusionen. Eine Sauerstoffmaske drückt auf mein Gesicht. Endlich Luft. Pfleger*innen lächeln mich an, nehmen Blutproben, checken meine Werte und reichen mir mehre Nierenschalen aus Pappe. Noch bevor ich fragen kann, was ich damit machen soll, geht’s direkt los, eitriger Schleim schießt aus meiner Lunge. Und es sollte zwei Tage dauern, bis meine Atemwege wieder einigermaßen frei sind.

Ich muss im Marien Hospital bleiben. Auf dem Weg zur Isolierstation gibt’s noch einen kurzen Zwischenstopp in der Radiologie. Die Lunge wird geröntgt. Ich bin von der modernen Apparatur beeindruckt, hatte ich anders in Erinnerung. Die freundliche Radiologin winkt mir zum Abschied zu, töfte hier.

Private Krankenzusatz­versicherung mit Chefarzt-Behandlung

Mein letzter Krankenhausaufenthalt im Marienhospital Gelsenkirchen liegt schon ein paar Jahre zurück und hatte bei mir nur positive Eindrücke hinterlassen. Damals residierte ich in einem großen Einzelzimmer mit Schreibtisch, einer Sitzgarnitur, einem riesigen LED-Fernseher und schnellem WLAN. Dazu ein großes Bad mit begehbarer Dusche und einem eigenen Kühlschrank. Das Essen konnte ich mir selber zusammenstellen und zum Frühstück gab’s nicht nur perfekt zubereitete Rühreier, sondern auch die Tageszeitung.

Willkommen auf der Isolierstation

Auf der Isolierstation werde ich freundlich begrüßt. Mein Bett steht bereit. Na, dann wollen wir mal. Schock! Man führt mich in ein 4 x 3,50 m kleines Doppelzimmer. Im zweiten Bett röchelt sich ein älterer Herr gerade in den Schlaf. Ich erwähne vorsichtig, dass ich Privatpatient bin und Umsatz bringe. Normalerweise läuten dann bei der Aufnahme sofort die Glocken. Keine Chance, die Isolierstation ist ausgebucht, es gibt keine Einzelzimmer. Ich bin dermaßen groggy, dass ich erst einmal in einen Dämmerschlaf sinke und zwischendurch weiter eitrigen Schleim huste. Ach ja, hab ich schon erwähnt, dass ich eine Phobie vor Krankenhauskeimen habe?

Good Morning Sunshine

Am nächsten Morgen besucht mich der Chefarzt. Sehr sympathischer Mensch, wir verstehen uns auf Anhieb. Er klärt mich auf. Bei mir hat wohl nicht nur Omikron zugeschlagen, sondern gleichzeitig auch eine super Bakterieninfektion. Omikron-Subtyp BA.5 hat das Immunsystem abgelenkt und diese hinterlistigen Bakterien haben die offene Flanke meiner Verteidigungslinie genutzt, um mich zu infizieren. Eine Kuriosität in der sonst üblichen Infektionsroutine. Mit den verordneten Infusionen sollte es mir aber in ein paar Tagen wieder besser gehen. Für den Rest des Tages döse ich dahin, huste im Duett mit meinem Zimmernachbarn oder folge den Schatten an der Wand, während das stets gutgelaunte Pflegeteam mir immer wieder neue Infusionen anhängen. Die meisten von Ihnen waren auch schon ein oder zwei Mal infiziert. Willkommen im Club!

18 Stunden sind eine Ewigkeit – ein Fehler im System?

Sonntag. In der Nacht löst sich mein intravenöser Zugang. Ein neuer muss gelegt werden. Kein Problem, denke ich, ist ja eine Sache von 3 Minuten. Pustekuchen! Obwohl es zur Pflegeausbildung gehört, darf das Pflegpersonal keine intravenösen Zugänge legen. Laut Anweisung dürfen dies nur Ärzte. Nur an einem Sonntag findet man davon wohl nicht allzu viele im Marien Hospital Bottrop, die dafür Zeit haben. An meinem Bett hängen schon die nächsten Infusionen. Ich möchte durch eine längere Unterbrechung den bisherigen Therapieerfolg nicht gefährden.

Bin ja eigentlich ein sehr geduldiger Mensch, doch nach 8 Stunden ist Schluss damit. Das Pflegepersonal telefoniert mehrere Stationen durch, leider können sie keinen Mediziner, der Zeit hat und mal kurz vorbeischaut, auftreiben.
Ich hake nach, klar könnten sie mir einen intravenösen Zugang legen, haben sie schließlich gelernt, dürfen sie aber nicht. Eine logische Begründung für diese Anweisung können sie mir auch nicht liefern. Ratlos im System. Sind es versicherungsrechtliche oder abrechnungstechnische Gründe? Wenn eine Pflegkraft mir einen Zugang legt, gehört das zur Abrechnungspauschale? Wenn ein Arzt mir einen Zugang legt, wird dieser jedes Mal gesondert berechnet? Nur Vermutungen.

Nach 10 Stunden poste ich meinen Frust auf Facebook. Informiere auch das Pflegepersonal darüber, die sind auch gefrustet und stimmen mir zu.
Erlösung. Nach 18 Stunden kommt dann endlich eine Ärztin von der Intensivstation angehetzt, legt mir schnell den Zugang und ist auch flugs wieder weg.

Die abgehangenen Infusionen werden entsorgt, neue angeschlossen und der Fluss der Genesung nimmt seinen Lauf.

Lachs mit Haut gebraten & Zitronen-Butter-Sauce

Am nächsten Tag kehrt mein Appetit zurück. Links in meinem Blickfeld glänzt der prallgefüllte Urinbeutel meines Bettnachbarn, rechts hängen meine Infusionsbeutel und dazwischen, direkt vor mir auf dem Teller liegt dieser zart gebratene Lachs mit einer köstlichen Zitronen-Butter-Sauce und goldbraunen Kartoffeln. Ich blende das Umfeld aus und genieße mein Menü. Für eine Krankenhausküche gar nicht mal so schlecht. Auch der Kaffee, den sie hier servieren, schmeckt mir.

Ich will raus!

Jeder Tag als Patient im Krankenhaus erhöht ja bekanntlich das Risiko krank zu werden. Seit vier Tagen starre ich jetzt auf die drei Meter entfernte Wand und Zimmertür. Meine Augen brauchen dringend Fernsicht. Die Lunge ist wieder frei, meine Werte sind normal. Ich frage also den Chefarzt, ob ich den Rest der Behandlung medikamentös zu Hause abschließen kann. Kann ich. Wir vereinbaren noch eine letzte Blutuntersuchung, wenn alle Werte stimmen, kann ich die Therapie zu Hause aussitzen.

Coming Home Now

Alle Werte sind okay, ich darf raus. Aber nicht einfach so, da ich mich ja immer noch in Quarantäne befinde, muss mich die Feuerwehr mit einem Krankentransport nach Hause bringen. Ist mir peinlich, aber nicht zu ändern. Und während ich so auf meinen Abtransport warte, krabbelt eine Wespe unter mein Poloshirt und verpasst mir einen heftigen Stich zwischen die Schulterblätter.

Danke

Ob Ärzte, Pflegepersonal, Helfer, Service- oder Reinigungskräfte, alle waren sehr empathisch, ausgesprochen freundlich und kompetent bei der Arbeit. Danke für euer Engagement.