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Bottroper Filmfestival 2024

Der Mann, der nicht schweigen konnte – Ein paar Impressionen vom siebten „Bosnia-Herzegovina Looks Around Film-Festival“

Es war Freitag, der 22. November, 18 Uhr. Ein heftiger Nordwestwind peitschte mir den Regen ins Gesicht. Ich kämpfte mich die Böckenhoffstraße in Richtung Filmforum entlang, als wäre sie ein Hindernisparcours für besoffene Matrosen. Hinter mir glitzerte still und starr der Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz, zu dieser Stunde ein Tableau menschlicher Abwesenheit, als hätte ein unsichtbarer Regisseur die Statisten von der Bühne gerufen.

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Stardust Memories

Eine weiße Stretchlimousine kreuzte meinen Weg. Toll, dachte ich, jetzt werden die internationalen Filmstars endlich standesgemäß zur Eröffnung des siebten Bottroper Filmfestivals „Bosnia-Herzegovina Looks Around Film Festival“ zum VHS-Kino gekarrt. Von der Croisette in Cannes zur Blumenstraße in Bottrop.

Ich stellte mir kurz vor, wie ich gleich von einigen Paparazzi auf einem mittlerweile durchnässten roten Teppich mit einem Blitzlichtgewitter begrüßt werde. Doch die Blumenstraße lag verlassen da. Keine Menschenseele zu sehen. Sag mir, wo die Blumen sind? Wo sind sie geblieben? Die Neonschrift am Eingang zum VHS-Kino war teilweise ausgefallen. Ein paar Funken sprühten vom Schriftzug.

Plötzlich durchschnitt die weiße Stretchlimousine wieder die Szenerie, wie ein surreales Element. Im Fond konnte ich ein paar Frauen erkennen. Sichtlich angetrunken. Eine junge Frau winkte mir zu. Eindeutig angetrunken. Vielleicht ein Junggesellinnenabschied, dachte ich. Plötzlich hatte ich das Gefühl, in einem Woody-Allen-Film festzusitzen – „Stardust Memories“? Ich wechselte von der Außen- zur Innenaufnahme.

Cabaret mit dem OB

Als ich das Filmforum betrat, umfing mich sofort die vertraute Wärme und Herzlichkeit des Festivals. Entgegen dem äußeren Anschein war der Saal fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit gewohnter Eleganz und Sachkenntnis geleiteten die Moderatoren Samir Čorkadi und Herbert Schröer, zugleich Mitorganisatoren des Events, das internationale Publikum gewohnt souverän durch die Veranstaltung.

Der Oberbürgermeister Bernd Tischler, Schirmherr des Festivals, glänzte durch Abwesenheit und ließ eine Videobotschaft über die Kinoleinwand flimmern. In einer surrealen Gedankensequenz sah ich ihn plötzlich – grellgeschminkt und voller unerwarteter Theatralik – aus der Leinwand springen, einen wilden Stepptanz hinlegen und die Atmosphäre mit einer musikalischen Einlage elektrisieren, die die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen ließ. Der OB sang einen Song aus dem Musical „Cabaret“: „Money makes the world go around…“.

Internationales Renommee

Die politische Präsenz beim Festival beschränkte sich auf eine kurze Videobotschaft des Oberbürgermeisters sowie die Anwesenheit der Ratsmitglieder Andrea Swoboda und Joachim Gutsche. Eine stärkere Beteiligung der lokalen Politikprominenz wäre wünschenswert gewesen, zumal dieses bemerkenswerte Filmfestival seit nunmehr sieben Jahren zum internationalen Renommee unserer Stadt beiträgt.

Zu den prominenten Gästen zählten auch die bosnisch-herzegowinische Botschafterin in Spanien, Vesna Andree Zaimović, die auch in einem der vorgeführten Filme mitwirkte, sowie der Botschafter Bosnien und Herzegowinas in Deutschland, Dr. Damir Arnaut. Beide nahmen an einer Podiumsdiskussion teil, bei der Themen wie Widerstand durch Kunst und Kultur erörtert wurden.

Leider hatte ich nicht die Zeit, mir auch die Filme in der Kategorie Studentenwettbewerb anzusehen, deshalb beschränkt sich mein Beitrag auf den Hauptwettbewerb.

Die Qualität der meisten Wettbewerbsbeiträge war hervorragend. Die Jury des Hauptwettbewerbs – bestehend aus der Berliner Theaterschauspielerin Maja Zećo, der in Paris lebenden Schauspielerin und Regisseurin Mersiha Husagić und dem Bottroper Videoproduzenten und Kameramann Ferdinand Fries – hatte es nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen.

Die Wahl als bester Film fiel auf den Kurzspielfilm »THE MAN WHO COULD NOT REMAIN SILENT« von Nebojša Slijepčević. Auch mich hat der Film tief bewegt. In nur 14 Minuten entfaltet der Streifen die universelle Kraft von Mut, Angst und vor allem Menschlichkeit.

Drei herausragende Festivaltage

Insgesamt erlebten wir erneut drei herausragende Festivaltage, die von einer familiären Atmosphäre geprägt waren. Ich traf auf viele inspirierende Menschen, die frischen Wind und eine Prise Internationalität in die sonst so homogene Kulturszene Bottrops brachten.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Mitwirkenden für dieses traumhafte Filmfest herzlich bedanken. Bitte mehr davon!

Abschließend möchte ich an die mahnenden Worte Martin Niemöllers erinnern, die die Jury zum Ende ihrer Präsentation zitierte. Sie unterstreichen eindrücklich die zentrale Botschaft des Siegerfilms: die unbedingte Notwendigkeit, rechtzeitig gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung einzutreten:

»Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Text und Fotos: Udo Schucker

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Alle Informationen zum Festival finden Sie auf der Website des Vereins: https://www.bih-looksaround-festival.eu/Festivals/bihlaff-2024

Heute mal ein wenig Werbung für den „Ruhrpottologen“ André Brune. André hat das gesamte Festival begleitet und auf seiner Website einen Beitrag dazu verfasst, schaut mal rein; https://www.ruhrpottologe.de/

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