ARTvent

Herr Blum besucht den Kunst- und Nikolausmarkt in der Galerie B12 im Kulturzentrum Bottrop.

Obwohl Herr Blum Weihnachten und die ganze Adventszeit hasste, beschloss er den Kunst- und Nikolausmarkt im Bottroper Kulturzentrum zu besuchen. Die Aussicht auf fröhlich glucksende Kinder und plärrende Eltern ließ ihn zwar innerlich zusammenzucken, doch Leo Blum war an diesem Samstag fest entschlossen, sich unter Menschen zu begeben. Außerdem mochte Herr Blum Kunst und die Möglichkeit, auf dem Kunstmarkt im B12 vielleicht ein kleines Gemälde zu erwerben, entzückte ihn.

Als Kind hatte Herr Blum Weihnachten geliebt, bis zu jenem Tag, als sein Schulfreund Bernie nicht nur den Tannenbaum in der elterlichen Wohnung, sondern sich gleich mit in Brand gesteckt hatte. Bernie war schon immer reichlich ungeschickt. Seine zwölf Lebensjahre könnte man als eine Aneinanderreihung von Missgeschicken beschreiben. Selbst Bernies Mutter meinte einmal, er sei ein Missgeschick. Seitdem sucht der „brennende Bernie“ Herrn Blum regelmäßig zur Weihnachtzeit in seinen Träumen heim, ohne ihn dabei wirklich zu erleuchten. Über 50 Jahre lag die Tragödie nun zurück, und Herr Blum war diesmal fest entschlossen, den „brennenden Bernie“ endgültig aus seinen Gedanken zu löschen.

Herr Blum wählte für seinen Ausgang einen schwarzen, maßgeschneiderten Anzug aus. Na ja, eigentlich hatte Herr Blum nur maßgeschneiderte, schwarze Anzüge, er liebte diese Eintönigkeit. Nur bei seinen Krawatten und Schals erlaubte sich Herr Blum etwas Abwechslung: Es gibt drei Grautöne. Leopold Blum betrachtete sein Spiegelbild, das stark an Alfred Hitchcock erinnerte. Hitch zwinkerte ihm zu. Blum schlüpfte in seinen schwarzen, einreihigen Kei-Mantel aus Wolle und Kaschmir und setzt zur Krönung seine geliebte Melone auf, ein Erbstück, das sein Urgroßvater angeblich von den englischen Hutmachern Thomas und William Bowler erworben hatte. Er, Blum war jetzt bereit, für seinen öffentlichen Auftritt.

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Am Kulturzentrum August Everding war einiges los. Ein roter Spielbus, weiße Zelte und eine große Schar von lachenden Kindern empfingen Herrn Blum vor dem B12. Eine Künstlerin war gerade dabei, aus einem Eisblock einen ca. 1,50 Meter großen Engel zu kratzen, als sich ein sehr kleiner Mensch Leo Blum in den Weg stellte. Herr Blum fand Kinder eher lästig und überlegte einen Augenblick, ob er etwas heftiger mit dem rechten Bein wedeln sollte, um dieses Etwas aus dem Weg zu räumen. Da zeigte der kleine Mensch auf Blums Melone und rief: „Wau-Wau!“

Eine hyperaktive Mutter eilte zugleich herbei, zog ihr Kleines zur Seite und sagte: „Das ist kein Wau-Wau, das ist nur der dicke Pan Tau!“
Herr Blum trug’s mit Fassung und eilte schnurstracks ins B12. Zwei Kinder kamen ihm entgegen, die ein kleines Gemälde davontrugen. Ah, Kinder, die sich für Kunst interessieren, das imponierte Herrn Blum und er schöpfte für zwei Sekunden Hoffnung.

Herr Blum betrat die gut besuchte Kunsthalle, in der an die 14 Künstler und Künstlerinnen ihre Arbeiten an kleinen Ständen zum Verkauf präsentierten. In der Ecke direkt gegenüber vom Eingang sah Blum den Künstler Guido Hofmann am vertrockneten Baum der Erkenntnis stehen, davor Hofmanns steinerner „Thron von Westeros“. Der Bildhauer teilte sich die Ecke mit der Künstlerin Catharina Lindeskov.

Gleich nebenan zeigte die Malerin Karina Pietrucha ein paar ihrer Werke. Ihre farbfrohen, glubschigen Figuren erinnerten Herrn Blum an russische Maler des frühen 20. Jahrhunderts, aber auch irgendwie an Gauguin. Herr Blum stolziert zum nächsten Stand und zum nächsten. Er entdeckt überall interessante Details, die sein wohltemperiertes Kunstempfinden anregten. Herr Blum begann seinen Ausflug zu genießen. Wildfremde Menschen grüßten ihn. Herr Blum nickte freundlich zurück oder hob leicht seine rechte Hand zu einem royalen Winken, very british.

Am Stand von Frau Kraft-Mysliwietz erwarb er einen Kalender und drei Postkarten, die er zu Weihnachten zu verschenken gedachte. Eine Karte bekommt sein Urologe, eine sein Hausarzt und die dritte Karte bekommt sein Zahnarzt.
Am Tisch der Künstlerin Irmelin Sansen, die er versehentlich mit Frau Sansa ansprach und die ihn daraufhin sofort als Franz-Kafka-Fan identifizierte, entdeckte Herr Blum Kunstobjekte, die ihn an Artefakte einer vergessenen Zeit erinnerten. Er musste an seinen Besuch im Pergamonmuseum denken, vor vielen Jahren mit Brigitte. Damals war er verliebt, in seine schöne Helena. Aber genau wie die Tochter des Zeus und der Leda war auch seine Brigitte nur noch ein Stern am Firmament, ein Rädchen im Großen Wagen, Mythologie.

Herr Blum fühlte sich plötzlich von den vielen Eindrücken erschöpft und beschloss zu gehen. Auf dem Nachhauseweg kam ihm ein sehr großer Coca-Cola-Weihnachtsmann entgegen, der den heiligen Nikolaus spielte. Der Nikolaus umarmte den perplexen Leopold Blum spontan und sagte: „Du warst ein artiges Kind, hier dein Geschenk!“. Der scheinbar angetrunkene Nikolaus drückte Herrn Blum einen Stutenkerl in die Hand und schritt davon.

„Danke!“, gluckste Blum und sah dem wankenden Heiligen Nikolaus hinterher.
Von einer nahegelegenen Grillbude strömte der Geruch von gebrutzelten Würstchen in Blums höchst empfindliches olfaktorisches System. Herr Blum musste an den „brennenden Bernie“ denken und biss dem Stutenkerl den Kopf ab. Frohen ARTvent!

Text und Fotos: Udo Schucker

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