B12 – Die fragile Haut der Welt
Die Form folgt der Funktion. B12 nennt sich die neue, 250 qm große Ausstellungshalle im Kulturzentrum August Everding. Mit ihren hohen Wänden und einer von Tageslicht durchfluteten Decke bietet sie reichlich Raum für Kunstausstellungen aller Art.
Von außen wirkt das B12 eher schroff, gar abweisend, so, als wolle es seinen Inhalt nicht allen offenbaren. Um die Kunsthalle zu betreten, muss man durch einen langen, gläsernen Gang schreiten, den man durchs Foyer erreicht. Und nur Menschen mit einer Affinität zur Kunst schaffen es, die Tür am Ende des Ganges zu erreichen. Alle anderen landen immer wieder am Ausgangspunkt. Also, wenn Sie wissen wollen, ob Sie kunstaffin sind, dann besuchen Sie das B12 ;-)
Aktuelle Ausstellung
„Die fragile Haut der Welt“ heißt die Ausstellung der Künstlerin Justyna Janetzek. Sie präsentiert im B12 Stahlskulpturen und Zeichnungen. Als großer Fan der Werke von Jean Tinguely war ich auf die „fragilen“ Skulpturen von Justyna Janetzek sehr gespannt. Aber wie so oft, wenn man sich einer Sache mit einer gewissen Erwartung nähert, trifft man auf das Unerwartete. In diesem Fall ein paar Vierkantrohre, die abgewinkelt im Raum von der Decke hängen. Dazu ein dekoratives, mittelblaues Blech an der Wand und einige Bilder, welche die Entwicklung der Konstruktion aufzeigen.
Ich schaue mir die Ein-Zoll-Vierkantrohre aus verschiedenen Perspektiven an. Suche nach verborgenen Linien, nach einem mathematischen Konstrukt, nach einer unsichtbaren Geometrie. Finde aber keinen Zugang zu den Exponaten. Was ist die fragile Haut der Welt?
In einem Flyer lese ich: „Die Kunst der gebürtigen Polin Justyna Janetzeks greift in die Wirklichkeit des Ausstellungsortes selbst ein. Ihre offenen Raumgebilde setzen sich zu den Elementen des Ortes in Beziehung, erschaffen einzigartige Verbindungen und Gegensätze. Konstruktion trifft auf Dekonstruktion.“
Nun, sagt uns die Quantenphysik nicht, dass wir die Wirklichkeit eins Raumes verändern, sobald wir diesen betreten. Dazu benötigt man keine Kunstwerke. Und dass Konstruktion auf Dekonstruktion trifft, ist auch so eine Floskel, die gerne für Beschreibungen von Kunstwerken genutzt wird. Mit dem Werbetext aus dem Flyer komme ich also auch nicht weiter.
Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos
Dann fällt mir ein Filmtitel von Alexander Kluge ein: „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos.“ Ich schreite zurück und betrachte die Konstruktion aus dieser neuen Perspektive. Und plötzlich sehe ich sie, die Artisten, die dort in Kuppel hängen, ohne soziales Netz und starr vor Angst, Angst vor dem sozialen Abstieg. Angst vor dem Chaos dieser Welt, die immer mehr aus den Fugen gerät. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit wird hier dekonstruiert.
Und das blaue Blech an der Wand wird inzwischen auch verständlich, es zeigt das Thyssen-Krupp-Blau und symbolisiert den Untergang der deutschen Stahlindustrie oder vielleicht der gesamten Wirtschaft.
Also, vergessen Sie den Titel „Die fragile Haut der Welt“, der führt zu Missverständnissen und dient eigentlich nur als Werbeslogan. Betrachten Sie die Ausstellung unter dem Titel: „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ und Sie werden verstehen!
Ist jetzt natürlich eine sehr subjektive Betrachtung, machen Sie sich am besten selber ein Bildnis.
Alle Werke der Ausstellung „Die fragile Haut der Welt/ Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ sind bis zum 15. Oktober in der Galerie B12 im Kulturzentrum August Everding zu sehen.
Öffnungszeiten:
Donnerstag: 16.00 – 19.00 Uhr
Freitag: 16.00 – 18.00 Uhr
Samstag: 10.00 – 14.00 Uhr
Text und Fotos: Udo Schucker