Wasser für die Elefanten

Absurdes Theater mit Estragon und Vladimir. Special Guest: der Bottroper Oberbürgermeister.

Unsere beiden Protagonisten sitzen am Rathausbrunnen, kühlen ihre nackten Füße im sprudelnden Brunnenwasser und warten wie immer auf Godot. Es ist ein heißer Sommertag. VLADIMIR liest in der WAZ, sein Gesicht ist hinter der Zeitung versteckt.

ESTRAGON
Kann mal einer das Licht ausschalten! Die Sonne geht mir heute echt auf den Senkel. Na, wenigstens sprudelt der Brunnen wieder.

Estragon setzt eine Ray-Ban®-Sonnenbrille auf, Modell Wayfarer von 1956 (Blues Brothers).

VLADIMIR (Gesicht hinter der Zeitung verborgen)
Der Brunnen soll abgerissen werden.

ESTRAGON
Warum?

VLADIMIR (Gesicht hinter der Zeitung verborgen)
Kleinkinder und Betrunkene könnten darin ertrinken.

ESTRAGON
Kann ja kaum noch einer schwimmen, heutzutage.

VLADIMIR (Gesicht hinter der Zeitung verborgen)
Und für einen Bademeister fehlt das Geld. War sowieso eine komplette Fehlplanung. Der Brunnen passt architektonisch nicht zum Rathaus-Ensemble.

ESTRAGON
Also kein Wasser mehr für die Elefanten?

VLADIMIR (Gesicht hinter der Zeitung verborgen)
Doch, doch. Der Fraktionsvorsitzende der CDU hat da noch so eine alte Pferdetränke mit historischer Handpumpe in der Scheune liegen. Würde zur Rathausarchitektur passen.

ESTRAGON
Secondhand is‘ voll im Trend.

VLADIMIR (Gesicht hinter der Zeitung verborgen)
Aber der Abriss wird richtig teuer.

ESTRAGON (verweist mit einem Kopfnicken auf die WAZ)
Und, wat Interessantes?

VLADIMIR  (Gesicht hinter der Zeitung verborgen)
Nö. Ein 62-jähriger Bottroper pöbelt am Dortmunder Hbf. Dank ChatGPT haben 30 Prozent der Schüler in NRW ein Einser-Abitur gemacht. Die AFD ist jetzt fürs Gendern, weil das, laut Friedrich Merz, ja Wählerstimmen bringt. Und Philipp Amthor will mehr Patrioten, deshalb sollen Kinder schon in der Kita die Nationalhymne singen.

ESTRAGON
Es wird immer absurder. (singt) Allons enfants de la Patrie, le jour de gloire est arrivé!

VLADIMIR (senkt die Zeitung, er trägt ebenfalls eine Sonnenbrille)
Das ist nicht die Nationalhymne! Das ist die Marseillaise.

ESTRAGON
Sind wir nicht Franzosen?

VLADIMIR
Nein, wir sind Weltliteratur. Wir sind Kosmopoliten – Weltbürger!

ESTRAGON
Na, die Marseillaise ist mir auch viel zu blutig.

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Aus dem RATHAUS tritt eine GESTALT und nähert sich unseren beiden Protagonisten …

VLADIMIR (weist in Richtung Rathaus)
Guck mal! Da kommt jemand.

ESTRAGON (aufgeregt)
Godot?

VLADIMIR
Weiß nich‘.

ESTRAGON
Nach 70 Jahren könnte Godot mal kommen. Dann wären wir frei.

VLADIMIR
Äh, ich glaub’, das is‘ nicht Godot.

ESTRAGON
Nein. (enttäuscht)
Das ist der OB.

VLADIMIR
Au, au, jetzt gibbet Ärger.

Der OBERBÜRGERMEISTER tritt an den Brunnen, zieht Schuhe und Socken aus, krempelt die Hosenbeine hoch, setzt sich neben die beiden, taucht seine Füße ins Brunnenwasser und setzt ebenfalls eine Blues-Brothers-Sonnenbrille auf.

OBERBÜRGERMEISTER (seufzt erleichtert)
Ahaaaaaaaa, so lässt es sich aushalten. Heute hab ich‘s den Genossen mal gezeigt, die den Brunnen austrocknen wollen. Hab einfach heimlich das Wasser angedreht.

VLADIMIR
Gute Entscheidung. Kante zeigen.

ESTRAGON
Einfach mal Wasser lassen.

OBERBÜRGERMEISTER
Ich muss mal was klarstellen, ich will kein Verwaltungsmausoleum, kein Denkmal oder ’ne Straße, die nach mir benannt wird – obwohl, so ’ne Gasse wäre ganz hübsch.

VLADIMIR
Gibt’s in Bottrop eine Gasse?

ESTRAGON
Glaub‘ nich‘ – nich‘ mal einen Gassenhauer.

VLADIMIR
In Dorsten gibt’s Gassen, vielleicht können wir ja da eine nehmen. Ziehen eh immer mehr Bottroper dorthin.

ESTRAGON
Die Volksbank kann da bestimmt helfen.

OBERBÜRGERMEISTER
Hab ich auch schon überlegt. Diese ständige Kritik hier, das hält ja auf Dauer keiner aus. Die letzten Monate noch irgendwie absitzen und dann weg.

VLADIMIR
So unter uns! Wie is‘ dat jetzt mit dem Bürgerbegehren „Neustart Bottrop“, sind Sie dafür oder dagegen?

OBERBÜRGERMEISTER
Also, und das bleibt jetzt aber unter uns!
(Vladimir und Estragon nicken)
Ich war letzte Tage heimlich auf der „re:publica“. Hab mich mal in Sachen „E-Government“ auf den neusten Stand gebracht.

ESTRAGON
Digitalisierung der Verwaltung, Einsatz von KI und so?

OBERBÜRGERMEISTER
Genau. Würden wir das umsetzen, könnten wir 40 Prozent aller Verwaltungsstellen streichen. Wir würden jedes Jahr mehre Millionen einsparen. Bräuchten auch entsprechend weniger Raum. Nur bei der Postenschieberei und dem Gekungel hier, darf man das nicht laut aussprechen, sonst endet man womöglich wie Julius Cäsar.

VLADIMIR
Metaphorisch gesprochen?

OBERBÜRGERMEISTER
Natürlich, nur ein sprachliches Bild. Außerdem hängen wir im Vergleich zu anderen Ländern viele Jahre hinterher. Die Zukunft holt uns so schnell nicht mehr ein.

VLADIMIR
Und als Sozi darf man den Abbau von Arbeitsplätzen gar nicht erst in den Mund nehmen, oder?

OBERBÜRGERMEISTER
So isset. Sonst kommt sofort die Esken angedüst und liest einem die Leviten.

ESTRAGON
Die Hansa- und Karstadt-Immobilie zu erwerben, macht sicher Sinn. Aber wie soll ein Katasteramt oder ein Stadtarchiv die Innenstadt beleben?

VLADIMIR
Na, vielleicht ein Standesamt. Womit wir wieder bei „Merhaba“ und dem orientalischen Heiratsmarkt im Hansa Center wären.

OBERBÜRGERMEISTER (leicht erregt)
Stopp! Schluss! Aus! Ich will davon nix hören!

Alle schweigen, schauen verlegen in unterschiedliche Richtungen.

OBERBÜRGERMEISTER
Mal wat Schönes: hier, guckt mal, ein Foto, das eine KI von mir geschaffen hat, für die Ausstellung „Bot-Rob – ARTYFICIAL INTELLIGENCE“, in der Pop-up-Galerie.

Der OB zeigt Vladimir und Estragon ein FOTO auf seinem Smartphone.

ESTRAGON
Wow! Klasse Foto.

VLADIMIR
Sammy Molcho, das Reptil im Mann.

OBERBÜRGERMEISTER
Ich find‘ das Bild richtig gut. Hab mich aber geärgert. Anstatt dieses Bild großformatig ins Schaufenster der Pop-up-Galerie zu stellen, haben die mich kleinformatig links unten in die Ecke gestellt. Da hat mich kaum jemand bemerkt.

ESTRAGON
Tut mir leid. So ’n tolles Fotos und dann in die linke Ecke.

VLADIMIR
Na, die rechte Ecke wäre schlimmer gewesen.

OBERBÜRGERMEISTER
Man kann’s keinem mehr recht machen. Alle hacken nur noch auf einem rum. Gut, ich hab vielleicht ein paar Fehler gemacht, war manchmal zu gutgläubig, aber ich wollte immer nur das Beste für die Bürger dieser Stadt.

ESTRAGON
Wissen wir. Sie sind eigentlich ein Guter.

VLADIMIR
Wir haben Sie lieb, keine Sorge. Und die paar Monate halten Sie noch durch.

OBERBÜRGERMEISTER
Richtig lieb, echt?

ESTRAGON
Echt! Bei uns finden Sie immer eine Schulter zum Anlehnen.

OBERBÜRGERMEISTER
Wisst ihr zufällig, ob der Guido Hofmann schon eine Skizze für mein Denkmal angefertigt hat? Äh, ich mein, nur so, würde mich einfach interessieren.

VLADIMIR
Verstehen wir. Können ihn ja mal fragen.

OBERBÜRGERMEISTER
Ach, wer Freunde wie euch hat, der muss seine Feinde nicht mehr fürchten.

ESTRAGON
Sun Tzu, „Die Kunst des Krieges“?

VLADIMIR
Nee, Polan Schluckski, „Altbier und Frikadellen“.

MUSIK setzt ein. Alle DREI plantschen mit ihren Füßen im Rhythmus der Musik, pfeifen und fangen schließlich an zu singen:

OBERBÜRGERMEISTER (singt)
Some things in life are bad
They can really make you mad

VLADIMIR (singt)
Other things just make you swear and curse
When you’re chewing on life’s gristle

ESTRAGON (singt)
Don’t grumble, give a whistle
And this’ll help things turn out for the best

UNISONO (alle singen)
Always look on the bright side of life
Always look on the light side of life

(Musik/Text: Eric Idle, aus dem Film. „Das Leben des Brian“)

Anmerkung: Es handelt sich hierbei um Satire, reine Fiktion. Natürlich kennen wir die Gedanken vom Oberbürgermeister nicht. Können sie uns aber denken ;-)

Das Bild vom OB finden Sie unter dem Titel „Der Politiker-Saurier“ auf der Website: https://botrob.de/

Die „re:publica“ Berlin ist das Festival für die digitale Gesellschaft: https://re-publica.com/de

„Wasser für die Elefanten“ ist ein Roman von Sara Gruen. Wir haben uns den Titel kurz ausgeliehen.

Unter „Kein Taj Mahal für Tischler“ erfahren Sie mehr zum fiktiven Denkmal-Entwurf.