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Ein Bett von Beyhoff

Eine herzergreifende Familien­geschichte über die Odyssee eines Bettes vom Bottroper Möbelhaus Beyhoff über fünf Jahrzehnte.

„Hilde, der Junge braucht ein neues Bett!“, rief meine Oma meiner Mutter zu, die gerade dabei war das Treppenhaus zu schrubben. 

Es war 12.05 Uhr. Im Radio begrüßte Moderator Klaus Jürgen Haller die Hörer des WDR 2-Mittagsmagazins mit seiner legendären Anmoderation: „Guten Tag, meine Damen und Herren, guten Morgen, liebe Studenten!“ Um dann zugleich die Nachricht des Tages zu verkünden: Die Beatles hatten ihr elftes Studioalbum veröffentlicht: „Abbey Road“. 

Wir schreiben den 26. September 1969. Die SPD hatte kurz zuvor die Bundestagswahl gewonnen und Willy Brandt plante eine Koalition mit der FDP, sehr zum Unmut von Herbert Wehner. Das Woodstock-Festival hatte im August stattgefunden und war zugleich der Höhepunkt und das Ende der Hippie-Bewegung. Und einen Monat davor, am 20. Juli, machte Neil Armstrong einen großen Schritt für die Menschheit und betrat als erster Mensch den Mond.

Mein 12-jähriges Ich interessierte das Weltgeschehen zu diesem Zeitpunkt nur wenig. Ich war gerade unglücklich verliebt, aber wer war das in diesem Alter nicht. Teilnahmslos starrte ich auf meine kaputte Liege. Ja, ich brauchte tatsächlich ein neues Bett. Gleich an mehreren Stellen hatten sich die Stahlfedern durch das dunkelrote, robuste Polster geboxt.

Kurz nach der Ermordung John F. Kennedy am 22. November 1963 erlag mein Vater im Alter von 36 Jahren seinem Krebsleiden. Meine Mutter stand plötzlich mit zwei kleinen Kindern und einer mickrigen Witwenrente da. Sie musste unser Leben auf einem andren Niveau neu organisieren. Größere Anschaffungen waren da nur mit der Unterstützung meiner Großeltern möglich. Und meine Oma hatte bereits beschlossen: Der Junge bekommt ein neues Bett!

So gingen am nächsten Tag meine Mutter, meine Großmutter, meine kleine Schwester Heike und ich ins Möbelgeschäft Beyhoff, das sich damals an der Essener Straße befand, diagonal zu unserer Wohnung Ecke Prosper- und Kirchstraße (heute Adolf-Kolping-Straße). Zu jener Zeit war das 1898 eröffnete Möbelgeschäft Beyhoff das erste Haus am Platz. Unsere Familie bezog ihr Mobiliar fast ausschließlich über die Familie Beyhoff. Nur in wenigen Ausnahmefällen bestellten meine Mutter und meine Großeltern mal ein Möbelstück bei Dümpel & Spörlein.

Wir hatten Glück, im Laden war gerade wenig los und Frau Beyhoff hatte ausgiebig Zeit für unser Anliegen. Sie begrüßte unsere Familiendelegation herzlich, man kannte sich. Und bevor es ums Geschäft ging, wurden erst einmal die üblichen Neuigkeiten ausgetauscht. Während meine Schwester und ich eher unbeteiligt herumstanden, machte zwischen den Erwachsenen lebhafter Klatsch die Runde.

Die Schaufenster und der Empfangsbereich waren hell erleuchtet, die fensterlose Halle im hinteren Teil lag hingegen im Dunkeln. Irgendwo in dieser Dunkelheit wartete mein neues Bett auf mich. Ich mochte diesen Geruch von neuen Möbeln, der sich mit einer leicht modrigen Komponente vermischte, die aus dem hinteren Bereich der dunklen Lagerhalle ausströmte. Dort hatten Wasserschäden ihre Spuren hinterlassen.

Frau Beyhoff lobte ihren Sohn Klaus, der jetzt aufs Gymnasium ging und nur gute Noten mit nach Hause brachte. Nun, ich besuchte die Hauptschule und meine Noten waren eher mittelmäßig. Aber ich hatte bei einem Schulwettbewerb den ersten Preis für eine Kurzgeschichte gewonnen. Was meine Mutter nun überschwänglich ins Gespräch einfließen ließ. Na ja, wie Mütter so sind.

„Kümmer‘ dich um deine Schwester“, meinte meine Mutter. Heike langweilte sich und fing an zu quengeln. Ich beschloss, meiner kleinen Schwester Angst einzujagen und erzählte ihr, dass dort hinten in der Dunkelheit der Halle etwas Böses lauerte, das von dem Gequengel kleiner Mädchen angezogen würde. Ich muss gestehen, sie hatte es damals nicht leicht mit ihrem großen Bruder. Erst einmal Ruhe.

Kommen wir nun zum Geschäftlichen. Meine Mutter und Großmutter hatten klare Vorstellungen von meinem neuen Bett. Ich wurde erst gar nicht gefragt. Es sollte die Maße von 200 x 90 cm haben, richtig stabil und schlicht sein, mit einem aufklappbaren Bettkasten und reichlich Stauraum. Also Bauhaus in Reinkultur – die Form folgt der Funktion. Frau Beyhoff hatte da sofort eine Eingebung, wusste aber nicht, wo diese Eingebung gelagert wurde. Sie schaltete das Licht in der Lagerhalle ein.

Mit einem lauten „Plop“ entzündete sich das Gas in den zahlreichen Neonröhren, die mit ihrem blassen Licht nach und nach die Dunkelheit aus der doch sehr weitläufigen Halle vertrieben. Meine Schwester und ich schauten verblüfft beim Anblick all dieser Möbel. Irgendwo zwischen den zahlreichen Möbelstücken, die hier lagerten, befand sich auch mein neues Bett. Angeführt von Frau Beyhoff, begab sich unsere kleine Truppe auf die Suche. Heike fing wieder an zu quengeln.

Nach einer Weil eindeckten wir schließlich, wonach wir suchten. „Habe ich gestern erst hereinbekommen. Als ob ich geahnt hätte, dass ihr heute vorbeikommt“, sagte Frau Beyhoff zu meiner Mutter und Großmutter. Das Bett entsprach exakt ihren Vorstellungen. Man konnte den schweren Bettrahmen samt Matratze und Lattenrost aufklappen und hatte so Zugriff auf einen großen Stauraum, in dem man glatt zwei Leichen hätte verstecken können. Meine kleine Schwester kletterte auch zugleich hinein und stellte sich schlafend.

„Leg dich mal hin!“, befahl meine Oma und schloss den Bettkasten. Ich pflanzte mich aufs Bett, drehte mich auf die Linke und dann auf die rechte Seite. Die Matratze war perfekt, nicht zu hart, aber auch nicht zu weich. „Und?“, fragte meine Mutter. „Gut!“, antwortete ich.

„Können wir beim Preis noch was machen, wir zahlen auch direkt?“, fragte meine Mutter Frau Beyhoff. Die druckste herum.
„Wir waren ja schon vor dem ersten Krieg Stammkunden“, fügte meine Großmutter hinzu. Frau Beyhoffs linke Augenbraue verformte sich zu einem Zirkumflex. „Vor dem Ersten Weltkrieg?“, fragte sie skeptisch. „Kompliment, dafür haben sie sich aber gut gehalten.“
Oma lachte: „Meine Schwiegereltern haben hier früher ihre Möbel gekauft. Ich glaub’, damals haben Sie die noch selbst gebaut, in Ihrer Tischlerei“, erwiderte meine Großmutter.
Frau Beyhoff geriet für einen kurzen Moment ins Schwärmen. „Tja, uns gibt’s ja schon seit 1898. Und unsere Fabrik produzierte bis zum zweiten Weltkrieg Möbel Made in Bottrop.“ Eine Prise Wehmut lag in ihrer Stimme. Ihr Widerstand gegen den Preisnachlass bröckelte. „Na, gut, ich guck mal. Gehen wir nach vorne und machen den Vertrag.“

Nach fast zwei Stunden ging’s zufrieden nach Hause. Meine Mutter schob den Haustürschlüssel ins Schloss und hielt plötzlich inne. „Wo ist Heike?“
„Äh … im Bett, glaub’ ich“, antwortete ich kleinlaut. Verdammt, wir hatten tatsächlich meine kleine Schwester vergessen.

Schnurstracks ging’s zurück nach Beyhoff. Und tatsächlich, meine Schwester lag immer noch friedlich im Bettkasten und begrüßte uns mit einem breiten Grinsen, nachdem wir den Bettkasten emporgehoben hatten. Andere Kinder hätten wahrscheinlich Zeter und Mordio geschrienen, so allein in der Dunkelheit. Meine kleine Schwester hingegen blieb gelassen. Ich war an diesem Tag richtig beeindruckt von ihrer Coolness, nicht so meine Mutter: „Fräuleinchen, jetzt aber raus da und Abmarsch!“

Kurz darauf wurde mein neues Bett von Beyhoff geliefert und es erfüllt noch heute seinen Zweck. Nachdem ich einige Jahre später zu Hause auszog und meine Mutter kurz danach in eine kleinere Wohnung wechselte, nahm sie das Bett mit und nutzte es bis zu ihrem Tod im Jahre 2004. Danach übernahm meine Schwester das Bett, nutzte es für ihren Sohn David, der leider im Alter von nur 20 Jahren völlig unerwartet verstarb. Meiner Schwester brach es das Herz, welches nur wenige Jahre später endgültig aufhörte zu schlagen.

Ich zog zu diesem Zeitpunkt gerade um und brauchte ein neues Schlaflager. Und so landete nach all den Jahren mein Jugendbett schließlich wieder bei mir. Man könnte auch sagen, bevor das Wort Nachhaltigkeit in Mode kam, haben wir es schon gelebt. Das Bett von Beyhoff hatte sich im Laufe der Jahre kaum verändert, nur der Lattenrost und die Matratze wurden ein paarmal erneuert.

Wenn ich heute den Bettkasten öffne, sehe ich immer noch meine kleine Schwester dort liegen, frech grinsend. Um die Erinnerung nicht zu verdrängen, habe ich drauf verzichtet, den geräumigen Bettkasten mit Gegenständen zu füllen. Der Stauraum unter meinem Bett bleibt für meine Schwester reserviert.

Ich denke oft an die Zeit mit meiner Familie, ich höre ihr Lachen, spüre ihre Warmherzigkeit und amüsiere mich noch heute über so manche Situationskomik. Und ich bewundere noch immer den unendlichen Humor meiner Mutter, den sie selbst in ihren dunkelsten Stunden nicht vernachlässigte.

Und so wurde aus dem Bett von Beyhoff auch eine Brücke über den Fluss der Zeit. Ein Ponton, auf dem ich sicher durch das Meer meiner Träume treibe. Und während ich dies schreibe, erklingt vom Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz ein alter Simon & Garfunkel Song:

When you′re weary, feeling small
When tears are in your eyes, I will dry them all
I’m on your side
When times get rough
And friends just can′t be found
Like a bridge over troubled water
I will lay me down

Ein Bett von Beyhoff

Udo Schucker

Möbel Beyhoff GmbH & Co. KG
Gladbecker Straße 130
46236 Bottrop

Telefon: 02041 18910
Website: https://moebel-beyhoff.de/

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